
Heft 01/1991
Neubeginn mit Grimm, Goethe und Schiller
Broschur mit 96 Seiten, Format: 220 x 310 mm
ISSN 0040-5418
Brauchen wir noch ein Theater der Zeit? Als 1946 der Herausgeber und erste Chefredakteur Fritz Erpenbeck der Zeitschrift den Namen gab, war damit ein Programm verbunden. Und wenn er in seinem ersten Leitartikel scheinbar rhetorisch die Frage stellte: Zeittheater oder Theater der Zeit? - so war das, in heutiges Verständnis übersetzt eine Absage an jede Form von modischem »Zeitgeist«. Daran, an anderes mit Sicherheit nicht wäre anzuknüpfen. Eine Zeitschrift, die 45 Jahre besteht, kann möglicherweise ihren ideellen Konkurs anmelden (so sie den materiellen vermeiden kann), muß aber mit ihrer Geschichte leben, sich mit ihr kritisch auseinandersetzend. Das kann sie nur, wenn sie sich mit der Geschichte des Theate rs in ihrem Wirkungsgebiet auseinandersetzt, denn eine Zeitschrift des Theaters ist weder politisch noch ästhetisch ein autonomes Gebilde, sondern Teil der Szene und deren kritischer Reflex. Ich scheue zu sagen, sie sei ein Spiegel, wie das Theater »Spiegel des Jahrhunderts« ist, weil das auf eine zu passive Abbild funktion verwiese, hinter der die eigene Verantwortung zurücktritt.
Eine Zeitschrift des Theaters wird also, da sie nicht unabhängig von der Praxis des Theaters zu denken ist (sonst wäre sie keine, allenfalls eine literaturkritische), sich das Objekt ihrer Betrachtung nicht aussuchen können, wird von dessen politischerwie ästhetischer Qualität stimuliert, wird sich aber zug leich immer daran messen lassen müssen, mit welchen Prämissen, Maßstäben, Ansprüchen, Forderungen sie ihrem Objekt begegnet. Sich als Teil der Geschichte des Theaters dieses Landstrichs begreifend, einer widersprüchlichen Geschichte zwischen Anpassung und Aufmüpfigkeit, »Hofmalerei« und Widerspruch, haben wir unseren eigenen Beitrag zu erforschen, unsere gegenwärtige Haltung zu überdenken und neu zu bestimmen.
»Theater der Zeit« hat im Lauf von 45 Jahren sein Outfit mehrfach gewechselt seine Leitung auch, hatte stets auch mit seinen, spezifischen Anpassungsproblemen zu tun, hat sich aber stets auch als Verbündeter der Theaterpraxis und der -praktiker verstanden. Heute steht ein harter Kern erfahrener, durch lange Zusammenarbeit verschworener, einem kritischen Journalismus verpflichteter Mitarbeiter vor der Aufgabe, in einem Deutschland ohne Grenzen, in einer auf neue Weise erfahrbaren deutschsprachigen Theaterlandschaft seine Position zu suchen, alte Verbündete nicht zu verlieren, neue zu gewinnen. Und das in bisher ebenfalls ungewohnter Konkurrenz zu anderen Organen ähnlicher Zielstellung, den Bedingungen und Bedrohungen des »Marktes« ausgesetzt der verführerischen Sicherheit (durch Subventionierung und Observierung) beraubt.
Wir möchten kein wohltemperiertes, »ausgewogenes« strategisch-taktisches Konzept an den Anfang dieses vielleicht schicksalhaften Jahrgangs stellen, der über unser Überleben entscheiden kann; wir wollen uns auf die Suche begeben, die Grenzen austesten, die neuen Bedürfnisse ausforschen. Wovon hängt ab, ob wir gebraucht werden (nicht im Sinne von Benutzbarkeit wie das Gebrauchtwerden von der etablierten Staats-Kunst immer interpretiert wurde)?
Es wird sicher nicht davon abhängen, wie lückenlos wir die weiter, größer gewordene Theaterlandschaft reflektieren, unter Wahrung des ganzen Spektrums der Genres und Sparten, es wird nicht nur davon abhängen, ob wir auf jede Frage eine Antwort wissen - aber es wird viel davon abhängen, ob wir die richtigen Fragen stellen für die, die Fragen (Sorgen, Probleme) auch ganz existentieller Art bedrängen.
Eines möchte ich entschieden klarstellen Wir bleiben, was wir sind und nicht anders sein können - die Theaterfachzeitschrift der alten DDR, Berlin inclusive, denn wir können uns aus unserer Geschichte nicht wegstehlen. Und daher wenden wir uns auch in erster Linie an die, deren Sorgen am größten sind, und denen wir leider gegenwärtig am meisten wehtun müssen mit der notwendigen Preisgestaltung, die auch ein Preis der neuen Freiheit ist und wir wenden uns darüber hinaus natürlich an alle, die mit uns an der Integration, nicht Einverleibung, des DDR-Theaters in ein wahrhaft europäisches Theater interessiert sind und mit uns (DDR-Theaterleuten) gemeinsam daran arbeiten wollen - mit Solidarität mit Neugier und mit Streitlust aber ohne Ressentiments und ohne neuen Opportunismus.
Die zusammenwachsende, aber noch immer und wie der Zerreißproben ausgesetzte Gesellschaft - hüben wie drüben - braucht wie beim Neuanfang 1945 kein flüchtig-modisches Zeittheater, aber es braucht ganz sicher ein Theater der Zeit. Braucht es auch ein »Theater der Zeit«?
Martin Linzer
Artikel | Seite |
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Artikel | Seite |
Entrée | Seite 1 |
Brauchen wir noch ein Theater der Zeit?von Martin Linzer | |
Autoren | Seite 2 |
Impressum | Seite 3 |
Spielzeitauftakt | Seite 4 |
Klassik-PaketSchiller Theater mit neuer Mannschaft: Eröffnung der Spielzeit mit Schiller, Goethe und den Gebrüdern Grimmvon Martin Linzer | |
Gespräch | Seite 6 |
Wieder in BerlinGespräch mit Alexander Lang am 31. Oktober 1990von Martin Linzer, Ingeborg Pietzsch und Alexander Lang | |
Inszenierungen | Seite 11 |
Theater muß Unruhe schaffenvon Volker Trauth | |
Gespräch | Seite 11 |
Gespräch mit Günter Krämervon Volker Trauth und Günter Krämer | |
Schauspiel | |
Ohne ZentrumBerlin / Schiller Theater / Werkstatt: »Tanz, Marie!« von Gerlind Reinshagenvon Martin Linzer | Seite 16 |
AutomatenMülheim, Theater an der Ruhr: »Leonce und Lena« von Georg Büchner - Premiere in der Volksbühne Berlinvon Volker Trauth | Seite 16 |
Sie reden und redenBerlin / Maxim Gorki Theater: »Die Cocktailparty« von T. S. Eliotvon Ingeborg Pietzsch | Seite 17 |
Handwerk hat goldenen BodenNordhausen: »Othello darf nicht platzen« von Ken Ludwigvon Rainer Junghanß | Seite 17 |
Renaissance des Barockvon Jitka Sloupová | Seite 18 |
Shakespeare | |
Chaos und UtopieShakespeare-Inszenierungen in diesen Zeitenvon Bernhard Scheller und Jürgen Ronthaler | Seite 20 |
Theaterformen '90: ShakespeareFreiheit leben - Peter Brooks »Sturm« (I. Pietzsch); Psychologie Titus - Peter Steins »Tito Andronico« (M. Linzer)von Martin Linzer und Ingeborg Pietzsch | Seite 23 |
Gespräch | Seite 27 |
Autor, Regisseur, SchauspielerEin Gespräch mit Manfred Karge (am 18. Oktober 1990 in Bochum)von Manfred Karge, Uwe Jens Jensen und Michael Propfe | |
Musik | Seite 31 |
Mozart 1991Mozart in seiner Zeit und in der unsern (I)von Georg Knepler | |
Oper | |
Wildes Heer mit Kettensägen»Der Freischütz« in Chemnitz und Rostockvon Hilary Finch | Seite 36 |
Junge Opernsänger in Großbritannienvon Evelyn Finger | Seite 38 |
GegensätzeDessau, Anhaltisches Staatstheater: »Tannhäuser« von Richard Wagnervon Uwe Hübner | Seite 38 |
Oper am TelefonLandestheater Halle: »Die menschliche Stimme« von Francis Poulencvon Matthias Frede | Seite 39 |
Musiktheater | |
Am Domhof und im emmaMusiktheater in Osnabrückvon Wolfgang Lange | Seite 40 |
Krisen - Werte - HoffnungenEin Rundtischgesprächvon Wolfgang Lange, Klaus Thiel, Christian Pöppelreiter, Michael Heinecke, Andreas Baumann, Johannes Fritzsch und Dieter Reuscher | Seite 46 |
Tanztheater | |
Ausgelieferte LiebendeL'Esquisse / Frankreich »Welcome to Paradise« (Gastspiel in der Volksbühne Berlin)von Volkmar Draeger | Seite 53 |
Tanz-Zentrum Berlinvon Dietmar Fritzsche | Seite 53 |
Ekstase durch AskeseTanzTheater Skoronel Berlin: »Noli me tangere« von Judith Kuckartvon Dietmar Fritzsche | Seite 53 |
Ein »Schwanensee« aus heutiger SichtZur ersten Premiere des Tanztheaters im Leipziger Schauspielvon Ann-Elisabeth Wolff | Seite 56 |
Neue DimensionenGespräch mit Irina Paulsvon Irina Pauls und Ann-Elisabeth Wolff | Seite 56 |
»Kammer« noch Theater spielen?Impressionen von der Eröffnung des Kammertheaters Neubrandenburgvon Silvia Brendenal | |
Gespräch | Seite 60 |
Zwischen Freiraum und EngeGespräch mit Knut Hirchevon Silvia Brendenal und Knut Hirche | |
Essay | Seite 63 |
Die neue GemeinsamkeitÜber das Theater in Deutschlandvon Günther Rühle | |
Kommentar | Seite 68 |
Theater gegen das Einschlafen im Getöse der WeltzeitZu Manfred Karges »MauerStücke«von Carlo Bernasconi | |
Stück | Seite 68 |
»MauerStücke«von Manfred Karge | |
Magazin | |
Rechtsunsicherheitvon Volker Trauth | Seite 84 |
Neue Aspekte der Exilforschung | Seite 84 |
Dokumentation von Schauspielkunst | Seite 84 |
Wehmut beim »Goldenen Delphin«von Barbara Fuchs | Seite 85 |
Bücher im Theater | Seite 85 |
Spielpläne | Seite 92 |
Januar 1991 | |
Premierenkalender | Seite 93 |
Premieren | Seite 93 |
Österreich / Schweiz | |
Besetzungen | Seite 94 |
Erstaufführungen / Schauspiel / Musiktheater |
Andreas Baumann
Carlo Bernasconi
Silvia Brendenal
Volkmar Draeger
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Evelyn Finger
Matthias Frede
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