Ein frühes Bild der Erinnerung, eine erste Erfahrung von Schuld - und damit beginnt das Theater Heiner Müllers.
Er hat die Geschichte immer wieder erzählt - es war eine der Obsessionen seines Lebens, als Katastrophe des eigenen, frühesten Versagens aussprechbar allein über die Sprache der Literatur, auf diese Weise wenigstens benennbar, nicht aufhebbar - aber so das Weiterleben für sich ermöglichend.
1958 notiert er (seinen eigenen Angaben zufolge) die Geschichte zum ersten Mal. Der in Prosa geschriebene Text hat den Titel »Der Vater«; sein erster Absatz lautet: »1933, am 31. Januar 4 Uhr früh wurde mein Vater, Funktionär der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, aus dem Bett heraus verhaftet. Ich wachte auf, der Himmel vor dem Fenster schwarz, Lärm von Stimmen und Schritten. Nebenan wurden Bücher auf den Boden geworfen. Ich hörte die Stimme meines Vaters, heller als die fremden Stimmen. Ich stieg aus dem Bett und ging zur Tür. Durch den Türspalt sah ich, wie ein Mann meinem Vater ins Gesicht schlug. Frierend, die Decke bis zum Kinn hochgezogen, lag ich im Bett, als die Tür zu meinem Zimmer aufging. In der Tür stand mein Vater, hinter ihm die Fremden, groß, in braunen Uniformen. Sie waren zu dritt. Einer hielt mit der Hand die Tür auf. Mein Vater hatte das Licht im Rücken, ich konnte sein Gesicht nicht sehn. Ich hörte ihn leise meinen Namen rufen. Ich antwortete nicht und lag ganz still. Dann sagte mein Vater: Er schläft. Die Tür wurde geschlossen. Ich hörte, wie sie ihn wegführten, dann den kurzen Schritt meiner Mutter, die allein zurückkam.«
Die Erschütterung zwischen der Sekunde des Wachwerdens und dem Moment der Verleugnung: für das Kind bleibt der Vorgang traumatisch, besetzt mir dem Gefühl von Angst um den Vater, aber zugleich auch schon mit dem ganz und gar unerlaubten Gefühl von Glück, selbst nicht mitgenommen worden zu sein und - nachdem es die Schritte seiner zurückkommenden Mutter hört - nicht allein zurückbleiben zu müssen. [...].
Aus Frank Hörnigk: Heiner Müller: Szene 1 - und ein Dokument, S. I.
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Ulrich Deuter
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Jens Knorr
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