
Heft 01/1998
Spezial BRECHT
Broschur mit 104 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISSN 0040-5418
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Wer als Regisseur in der DDR aufwuchs, war mehr oder weniger Brechts Schüler - und hatte gerade deshalb mit Brechts Stücken eine bestimmte Schwierigkeit. Vom "Guten Menschen von Sezuan" erwa merkt Brecht in einer Notiz an: "Die Provinz Sezuan der Parabel, die für alle Orte stand, an denen Menschen von Menschen ausgebeutet werden, gehört heute nicht mehr zu jenen Orten." Auch die DDR gehörte nach Brechts Meinung nicht mehr zu jenen Orten, auch dort war das Stück daher historisch geworden. Warum sollte man es dann aber noch spielen? Man konnte natürlich Begründungen finden - etwa, daß noch das Veralten der Stücke die Veränderlichkeit menschlicher Verhältnisse bezeugt und so zur Veränderung ermutigt: "So wie es ist, wird es nicht bleiben". Auch den Herrn auf Puntila gab es in der DDR nicht mehr, und Brecht nannte ihn in einem Prolog daher ein "gewisses vorzeitliches Tier". Das Recht, ihn dennoch auf die Bühne zu bringen, konnte man erwa aus Marx' Diktum ableiten, die Menschheit wolle heiter von ihrer Vergangenheit scheiden: "Nur ist nicht übern Berg, wer noch nicht lacht". Einige Haltungen der kleinen Händlerin Courage gab es natürlich auch bei den kleinen Leuten der DDR - "Relikte", die man loswerden mußte. Auch der "Kreidekreis", nun in den Kaukasus, d. h. ins Gebiet der Sowjetunion übertragen, stellt sich in einem Vorspiel als Exempel aus früheren finsteren Zeiten dar, in denen der Kleine-Leute-Richter Azdak noch Gerechtigkeit mittels Rechtsbruch übte. Ich versuchte in den 60er Jahren, "Schweyk im 2. Weltkrieg" aktuell zu verstehen. Schweyk macht keinen Widerstand, meinten wir damals, er ist Widerstand, und gerade deshalb seien er und seinesgleichen unüberwindlich. Neben der Bühne hatten wir ein Marx-Zitat angebracht: "Die Theorie wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift", auf der anderen Bühnenseite aber die Fortsetzung, die in der DDR meist unterschlagen wurde: "Nur die Theorie ergreift die Massen, die die Befriedigung ihrer Bedürfnisse ist." Wir wollten den "unpositiven Standpunkt des Volkes" (Brecht) gegenüber einer Parteipolitik herausstellen, die sich ständig auf dessen Heldentum berief. Später fand ich andere Stücke, die dafür geeigneter waren, erwa die Stücke des irischen Proletariers O'Caseys. (Irische Passagiere beanrworten die Frage eines Engländers "nach der Stadt Kylenamoe" da solange, bis dieser nicht mehr weiß, wo er überhaupt hinwill, ja wie er selber heißt; irische Handwerker renovieren ein altes Tudorschloß da solange, bis es seinen neuen Eigentümern überm Kopf zusammenfällt.)
Inzwischen ist die DDR selbst historisch geworden. Die "neue Zeit", an deren Anbruch Brecht glaubte, scheint verflogen, die "alte Zeit" zurückgekehrt. Kann es sein, daß das der Aktualität der Brechtschen Stücke wieder aufhilft? Der Gute Mensch von Sezuan in Brechts Parabel mußte untergehn, wenn er nur gut, nicht zugleich aber böse ist - konnte es einen guten Menschen also nicht geben? [...].
Aus Adolf Dresen: Die zweite Schwierigkeit, S. 52
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Spezial: Bertolt Brecht | |
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