Das Berliner Ensemble, Bertolt Brechts und Helene Weigels Kreation, war ursprünglich ein Ensemble ohne Haus, aber mit einem klaren, selbstgestellten Auftrag: die deutsche Theaterkunst und, in ihrem Zentrum, die Schauspielkunst zu erneuern, denn: „Das Poetische war ins Deklamatorische entartet, das Artistische ins Künstliche, Trumpf war Äußerlichkeit und falsche Innigkeit. Anstatt des Beispielhaften gab es das Repräsentative, anstatt der Leidenschaft Temperament.“ (Brecht) Hinter dem Begriff „Berliner Ensemble“ stand der Gedanke, frei vom kapitalistischen Verwertungszwang eine experimentell zu erarbeitende Ästhetik im Dialog mit Zuschauern, die sich zu einem Publikum konstituieren, auszuformulieren und fortwährend zu erfrischen. „Man muss merken, dass da viele Künstler als ein Kollektiv (Ensemble) an der Arbeit sind, Geschichten, Ideen, Kunststücke gemeinsam dem Publikum zu übermitteln.“ (Brecht). Das BE war beispiellos in Deutschland, in Ost und West gleichermaßen, es war der Stachel im managerial geführten und kulturbürokratisch fundierten Stadttheatersystem, weshalb es jedoch, koste es, was es wolle, in dieses System zurückexpediert werden musste. Es kostete viel, bis endlich Claus Peymann diese Aufgabe für den Senat in einem ersten großen Schritt anging. Im Herbst 2014 folgte der ultimative Schritt. Klaus Wowereit griff zum Telefonhörer – in welch trüber Stunde wohl, und wer hielt ihm den Hörer, um auszureißen den Stachel? –, bevor er sich ins Privatleben zurückzuziehen gedachte. Und siehe: Ein Berliner Stadttheater, bedeutend nichts, ward erschaffen.
Die Frage, warum er, der so Gerufene, dem Anruf gefolgt sei, beantwortet dieser ganz im Sinne der schlichten Gemüter, die ihn da riefen, so dass Wowereits Entschluss erst jetzt in seiner ganzen Weisheit erstrahlt: „Die Herausforderung, an eins der schönsten, der traditionsreichsten Theater zu gehen, ist eine große. Ich gehe überhaupt nicht, weil mir in Frankfurt irgendetwas nicht behagt hätte. Die Situation am BE ist einfach ganz anders. Die Bühne ist intim, ideal für Sprechtheater. In Frankfurt können Sie zum Beispiel Schauspieler nie so inszenieren, dass die sich anschauen, wenn sie miteinander reden. Sie müssen den Text in Richtung Publikum sagen, sonst verstehen Sie ihn akustisch nicht.“
Das künftige BE bräuchte, um ästhetisch berechtigt und ideell legitimiert und folglich im tieferen Sinne, im künstlerischen Sinne subventionswürdig zu sein, eine Truppe ambitionierter, künstlerisch und politisch miteinander verbundener Theaterleute, die dem Theater mittels ihrer Spiele zu einer neuen gesellschaftlichen Wirksamkeit verhelfen wollen und möglicherweise gar schulbildend wirken gegen die Mittelmäßigkeit der uniformen Individualisten des gegenwärtigen Theaterbetriebs, gegen den Trend der Verflachung durch „Tiefe“ und „Abgründiges“. Eine Truppe wäre gefragt, die nicht beiträgt zur steten Verflüchtigung von Sinn im kunstgewerblichen Nirgendwo, sondern auf der Bühne einer Gegenöffentlichkeit das Wort redet, um der gesellschaftlichen Praxis selbst zum Sprechen zu verhelfen, die dafür sorgt, dass denen, vor denen sie spielt, durch ihr Spiel „die Dinge“ wieder kenntlich werden als „real“, das heißt gesellschaftlich behandelbar und änderbar. Da solch unentfremdetes, radikal kritisch-materialistisch fundiertes Arbeiten keine Heimstatt mehr unter dem Schutz des nimmermüde sich drehenden Kreises hat, muss das weltberühmte Signet demontiert werden. Die Ausfahrt „Berliner Ensemble“ ist beendet. Kläglich im Politikmorast gestrandet. Wer verfügt heute in Deutschland über die Theater? Der Subventionär, die Zuschauer? Gewiss nicht. Die Kulturbürokratie. Wie seit jeher, wie seit 1918. Wie lange noch?
Wowereits Alleingang stellt die Frage dringlicher denn je. //