Aktuelle Inszenierung
Im Herzen der Finsternis
„Das Kongo Tribunal“ von Milo Rau untersucht in Bukavu und Berlin die Hintergründe des kongolesischen Krieges
von Andreas Tobler
Es klingt völlig verrückt: Ein europäischer Theatermacher aus einem wohlstandssatten Kleinstaat schlägt mit seinem Team im Kongo auf und veranstaltet dort einen Gerichtsprozess, um die Ursachen der Misere zu klären, die das „Herz der Finsternis“ seit Jahrzehnten im Würgegriff halten. Milo Rau hat mit seinem International Institute of Political Murder (IIPM) genau das gemacht: Der Schweizer Regisseur und sein Team sind in den Kongo gereist, der so groß ist wie Westeuropa, um mit realen Akteuren während dreier Tage in einem Theatertribunal die Gründe des kongolesischen Elends zu untersuchen. Das geschah Ende Mai. Ein Monat später folgten Nachverhandlungen in Berlin.

Dabei wurden bereits vor Beginn der theatralen Gerichtsprozesse harte Vorwürfe gegen Rau erhoben: Von Kolonialismus, Hybris, Geltungsdrang und fehlender juristischer Legitimität war die Rede. Das sind Vorwürfe, die man nicht so rasch erhebt, wenn man die Tradition der Russell-Tribunale kennt, in die sich Rau mit seinem Theatergericht stellte: 1966 rief der Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell zusammen mit Jean-Paul Sartre das Vietnam-Tribunal ins Leben, das die Frage klären sollte, ob sich die USA der Kriegsverbrechen schuldig gemacht hatten. Begründet wurde das Vietnam-Tribunal damit, dass die Abhängigkeiten unter den Staaten viel zu stark seien, um gewisse Vorgänge zur Anklage zu bringen. Und genau hier setzten die Russell-Tribunale an: Sie wollen unabhängig von allen staatlichen Einflüssen agieren; sie sind aber notwendigerweise machtlos im juristischen Sinne, da das Gewaltmonopol, das zur Vollstreckung von Urteilen notwendig ist, beim Staat bleibt. Dafür kann mit den Russell-Tribunalen alles zur Verhandlung gebracht werden, was Vernunft und Gewissen empört.