Magazin
Anarckeyyy!
Schorsch Kamerun: Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens. Ullstein, Berlin 2016, 256 S., 18 EUR.
von Jakob Hayner
Ein leichter Hauch von Nostalgie durchzieht die Beschreibungen: Die Sex Pistols konnten einen noch richtig in Erregung versetzen, die Lehrer waren noch Altnazis, die Eltern noch Spießer, und auch vom Eierlikör wurde man noch besoffener als heute. „Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens“ ist der Titel des Romans von Schorsch Kamerun, dem Sänger der Band Die Goldenen Zitronen. Erzählt wird die Geschichte von Horsti, der in der Provinz in der Nähe von Hamburg aufwächst. Er und seine Clique beginnen gegen die Idiotie des Landlebens zu rebellieren, entdecken die Freude an der Subversion, an der „Anarckeyyy!“. Die Feinde sind schnell ausgemacht – Eltern, Lehrer, Chefs – und die Freunde auch, die Gleichgesinnten. „Jugendkultur hieß Gegenkultur. Rockmusik fühlte per se links. Bürger erschienen als Bürger und nicht als ihr eigenes Gegenteil. Einige konnten cool sein. Weil noch nicht alle cool waren.“ So war das, damals. Man verachtete die „verlogene Erwachsenenweltwüste“, doch später ist man selbst in ihr gefangen. Am Ende folgt Ernüchterung: „Nach und nach wurde ihm klar, dass es nicht ausreichen würde, permanent und kämpferisch seine äußere, unerschrockene Unabhängigkeit zu behaupten. Auf dem Papier war er selbst- bestimmt. Und trotzdem lebte er in Gefangenschaft.“ So fühlt es sich an, das eiserne Gesicht der kapitalistischen Freiheit.

„Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens“ muss man dem Genre der autobiografisch gefärbten Adoleszenzromane zuordnen, denn unschwer lässt sich in der Figur des Horsti vom Bimmelsdorfer Strand auch der Schorsch vom Timmendorfer Strand entdecken. Dieses Genre hat inzwischen einige Verbreitung gefunden, es ist gewissermaßen zu einem bestimmenden Genre der letzten Jahre geworden, eine postmoderne Variante des Bildungsromans. Dem Buch von Kamerun am ähnlichsten ist sicher Rocko Schamonis „Dorfpunks“, aber auch Heinz Strunks „Fleisch ist mein Gemüse“ und Sven Regeners „Herr Lehmann“ gehören zu den herausragenden Beispielen dieser Art von Romanen. Was diese Bücher auszeichnet, ist eine Jugend (oder verlängerte Jugend, die Adoleszenz eben) in der westdeutschen Provinz, wo auf eigenartige Weise die Geschichte stillsteht, wo britische Punkmusik wie ein Meteor einschlägt, wo Bürgerlichkeit und Gegenbürgerlichkeit aufeinandertreffen, eine Welt, die von so bezeichneten Trotteln und Verlierern, von Außenseitern bevölkert wird, die sich mehr oder weniger erfolgreich durchs Leben schlagen, auf der Suche nach der verlorenen Identität und Integrität. In der Regel wird diese Art des Adoleszenzromans in kurzen Episoden erzählt, anekdotenhaft, mit viel Zeitkolorit. Das muss man mögen, denn hinter den Beschreibungen zeittypischer Phänomene tritt die Kunst des Erzählens zurück. Das ist bei Schorsch Kamerun nicht anders.
Kürzlich haben der Kulturwissenschaftler Philipp Felsch, bekannt geworden mit seinem Buch über die Geschichte des Merve Verlags „Der lange Sommer der Theo- rie“, und der Schriftsteller Frank Witzel, mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet für „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“, in ihrem Gesprächsband „BRD Noir“ erörtert, was eigentlich diesen Adoleszenzroman der alten Bundesrepublik, der immer auch ein Provinzroman ist, ausmacht. Es ist gerade die scheinbare und unveränderliche Idylle der Provinz, die von einigen, die die Kunde der urbanen Kultur vernommen haben, infrage gestellt wird. Die Provinz bildet auch den Prozess des Aufwachsens, des Orientierens am Anderen, nämlich der Stadt, noch einmal ab. Die Provinz, die mit dem Bauerndorf nichts mehr zu tun hat, ist wie die Jugend, die auch mit der Kindheit schon nichts mehr zu tun hat, in einem Zwischenraum; das scheinbar Unschuldige ist verloren, und die ersten Botschaften aus der Stadt und dem Leben der Erwachsenen kommen an. So verschränken sich in dem Adoleszenzroman die Motive von Provinz und Stadt, von Jugendlichen und Erwachsenen in der Art, dass sich daraus das Bild einer Generation auf Identitätssuche ergibt. Dass sich das Genre weiterhin einer großen Beliebtheit erfreut, zeigt aber auch, dass die Suche offenbar keineswegs abgeschlossen ist. //