Kommentar
Skandalkeule statt Debattenkultur
Über die Antisemitismusvorwürfe gegen Achille Mbembe und die Absage der Ruhrtriennale
von Sascha Westphal
Am 22. April wurde die diesjährige Ausgabe der Ruhrtriennale abgesagt. Der Aufsichtsrat der Kultur Ruhr GmbH, der Trägerin des Festivals, hat diesen radikalen Schritt mit der gegenwärtigen Coronapandemie und der sich aus ihr ergebenden Planungsunsicherheit begründet. Eine letzten Endes zu erwartende Entscheidung. Dennoch fällt auf, dass die Absage relativ früh erfolgt ist, vier Monate vor Beginn des Festivals, das am 14. August in der Bochumer Jahrhunderthalle eröffnet werden und bis zum 20. September stattfinden sollte.
Außerdem überrascht es, dass Stefanie Carp, die künstlerische Leiterin der Ruhrtriennale, die ihre dreijährige Intendanz mit dieser Ausgabe beendet, anscheinend kaum in die Entscheidungsfindung einbezogen wurde. Hintergrund ist vermutlich ein bereits seit 2018, Carps erstem Jahr als künstlerischer Leiterin, bestehender Konflikt zwischen der Festivalchefin und den in Nordrhein-Westfalen Verantwortlichen für die Ruhrtriennale, der erneut aufgebrochen scheint. Damals ging es um die Ein-, Aus- und Wiedereinladung der schottischen Band Young Fathers, die der BDS-Kampagne nahesteht, welche seit etwa zwei Jahrzehnten die kulturelle, politische und wirtschaftliche Isolation Israels propagiert. Wenngleich das Konzert am Ende trotzdem nicht stattfand – die Band hatte letztlich selbst abgesagt –, hatte die Diskussion um die Young Fathers eine Frontlinie geschaffen. Fortan herrschte zwischen der Festivalleiterin und den sie kritisierenden Politikern und Journalisten ein gewisses Misstrauen. Die Chance auf eine nachhaltige Normalisierung des Verhältnisses war vertan. Zwar sah es 2019, in Carps zweitem Jahr, fast so aus, als ob sich die Wellen geglättet hätten. Doch mit der Veröffentlichung ihres diesjährigen Programms brach der nur oberflächlich überdeckte Konflikt wieder auf.
Stefanie Carp hatte den 1957 in Kamerun geborenen und seit Längerem an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg lehrenden Historiker und Philosophen Achille Mbembe eingeladen, am 14. August die Eröffnungsrede zu halten. Auf diese Ankündigung reagierte Lorenz Deutsch, der kulturpolitische Sprecher der FDP im NRW-Landtag, mit einem offenen Brief. Deutsch forderte, Mbembe wieder auszuladen, da er ein Parteigänger der BDS-Kampagne sei und in seinen Schriften den Holocaust verharmlose. Diese teils auf einzelnen Sätzen aus Mbembes umfangreichem Werk basierenden Vorwürfe wurden von Felix Klein, dem Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung, aufgegriffen und noch einmal bekräftigt. Als Gegenreaktion solidarisierten sich zahlreiche namhafte jüdische Künstler und Wissenschaftler aus Israel und den Vereinigten Staaten mit Mbembe und forderten in einem Aufruf an Bundesinnenminister Horst Seehofer die Absetzung Kleins. Was als Streit um die Ruhrtriennale begann, hat sich zu einem internationalen Skandalon entwickelt.