
„Sitzungspolizeiliche Anordnung“ ist ein schönes Wort, selbst wenn ich mich unausgeschlafen frage, ob es nicht eher polizeiliche Sitzungsanordnung heißen müsste. Sie werden es sich schon gut überlegt haben. Dieses Anordnungsdeutsch jedoch entwickelt einen gewissen Sog, und je weiter ich lese, desto weniger kann ich mich entziehen. Mit Blick auf die Kontrolle in der Eingangsschleuse steht unter V.3.d: „Die Untersuchung ist auf das Schuhwerk zu erstrecken“; unter V.3.e: „Das Kopieren der Ausweise für die schnelle Identifizierung von Störerinnen und Störern wird angeordnet. Die Kopien sind unverzüglich nach Schluss der Sitzung zu vernichten.“ Das glaube ich gern. Zweimal ist der Termin für die Verhandlung verschoben worden, der Richter wurde um zwei weitere aufgestockt, und dann ist der zivilrechtliche Prozess auch noch örtlich verlagert worden, ins Kriminalgericht Moabit. Immer noch unausgeschlafen frage ich mich, gegen welche Terrormiliz es hier geht. Es geht aber, ich schwöre es, um einen Buchladen, es geht um die Räumungsklage gegen Kisch & Co.
Wie in meiner ersten Kolumne in dieser Spielzeit beziehe ich mich auch in meiner letzten auf den vom Kreuzberger Kiez so geliebten Laden. Zu viel Drama, Baby. Seit Juni 2020 soll er eigentlich schon weg sein, weil der neue Eigentümer, ein gesichtsloser Immobilienfonds, ihn nicht haben will. Dass der vorerst letzte Akt, der im Drama nicht selten der blutigste ist, im Kriminalgericht spielt, wirkt wie eine fiese Pointe. Da hilft es wenig, dass all die Kundgebungen ein ganzes Jahr lang auf der Oranienstraße zwar fordernd, aber friedlich verlaufen sind. Kreuzberg scheinen sie nicht zu trauen. Man könnte auch Einschüchterung dazu sagen. Trotz des ungeheuren Interesses sind nur acht Plätze für die Presse reserviert, nur zehn für die übrige Öffentlichkeit.
Im Buchladen sitzen wir nachts gerne zusammen, Thorsten, Ulla und ich. Bier haben wir vom Späti nebenan und Zigaretten eh. Jetzt, in der heißen Phase, kreuzt der türkische Späti-Mann plötzlich auf und verteilt Knoppers, damit die Buchhändler die Nerven bewahren. Tags darauf bin ich wieder im Laden und sag Proust! Ulla sagt Prost! und lacht, weil sie Prost! verstanden hat und an die vergangene Trinknacht denkt. Dabei will ich wirklich was von Proust haben.