
Heft 11/1982
Alte Stücke für heute
Erfahrungen und Probleme bei der Erbe-Aneignung
Broschur mit 88 Seiten, Format: 200 x 290 mm
ISSN 0040-5418
Ich bemerke, wenn ich mich in der DDR umschaue, Versuche, mit vielfältigen Formen heutiges Theater zu machen, das heißt auch mit dem Erbe zu zielen auf den gegenwärtigen Besucher. Ich behaupte, daß dies in der Regel an den Theatern konzeptionell üblich ist und auch praktisch versucht wird. Das, was entsteht, ist aber differenziert zu betrachten und sehr unterschiedlich.
Ich sehe zum Teil Aufführungen, wo das Moderne nur darin besteht, daß die Darsteller modern angezogen sind oder daß Details wuchern, wo man sagen muß, es sind nur modische Zutaten: Die Nickelbrille und der lange Gummimantel, die Armbanduhr, der Fotoapparat, die nackte Frau und - und - und. Da entstehen aus der Sehnsucht nach einer Kunstfigur bestimmte Bildwirkungen. Dagegen ist nichts zu sagen, wenn sie dem Inhalt der Szene, des Vorgangs entsprechen. Ich habe aber oft den Verdacht, daß eigentlich mehr das Modische an sich dahinter steckt und der Versuch, nur interessant zu sein. Ich bitte mich nicht so zu verstehen, als meinte ich, man dürfte nicht modern sein auf dem Theater. Ganz im Gegenteil! Ich würde mich sehr nachdrücklich dazu bekennen. Da wir mit dem Theater und natürlich auch mit dem Erbe immer auf den Zeitgenossen im Zuschauerraum zielen, auf den gegenwärtigen Besucher, müssen wir im Zeitgeist des Dichters »suchen«. Wo schlägt jener Funke des Autors, der gewissermaßen parallel geht mit dem Zeitgeist des Regisseurs, mit dem Zeitgeist dieses Spielensembles und mit dem Zeitgeist des Publikums, also wo ist die Strecke im Stück, wo man ohne wesentliche Beschädigung bzw. Veränderung des Werkes das finden wird, was auch das Gegenwärtige und Heutige im Besucher ist. Ich halte nicht so sehr viel davon, alten Stücken eine moderne Lesart aufzupressen oder aufzudrängen, weil meistens dann doch etwas von dem Werk zerstört wird oder verlorengeht. Ich erinnere mich: als wir bei unserer »Macbeth«-Aufführung vor längerer Zeit versuchten, die schwierige Schlußfrage in den Griff zu kriegen und gewissermaßen mit einem optischen Zeichen, durch das bestimmte Fahnen fielen, zu erklären, wer am Schluß die Macht hat, da sagte ein Schauspieler leise, aber vernehmlich: »Es riecht nach Konzeption«.
Damit ist für mich das Problem umschrieben, wo wir gewissermaßen nicht genug vertrauen, was der Zuschauer herausnehmen kann aus einer Aufführung, und wo wir, denke ich, die Dialektik von Figuren beschädigen und die Dramaturgie des Stückes verletzen.
Es ist relativ einfach, eine Lesart zu finden, diese nun so zu postulieren, so zu artikulieren durch Striche, durch Einschränkungen, durch Figurenführungen, daß eine Absicht erkennbar ist. Die Schauspieler beklagen sich sehr häufig und sehr schnell, daß sie dann nicht mehr viel zu spielen haben, daß ihnen etwas vom Reichtum der Figuren beschnitten wird, daß die Dialektik aus den Figuren herausgeht und daß zwar eine heutige Aussage gefunden ist, aber eigentlich sind sie dann nur noch Typen oder Sprachrohre.
Bei dieser »modernen« Sicht auf Theater entsteht gewissermaßen für mich eine Art von Dogmatismus. Obwohl man eigentlich gegen den Dogmatismus des Konservativen antritt, entsteht der Dogmatismus des Typischen, und ich denke, man muß da genau Maß halten.
Ich gebe zu, daß ich falsch verstanden werden kann. Ich möchte nicht zu denen gehören, die sagen, Werktreue besteht darin, daß man überhaupt nichts an einem Stück ändert, daß man in keinster Weise Heutiges einbringt. Dann findet Museumstheater statt, das ist genauso tödlich wie platte Aktualisierung. Aber das findet eigentlich auf unseren Bühnen nicht mehr statt. Interessanterweise sind wir bei einem Besuch in Moskau hineingestoßen mit dieser Frage in eine Debatte, die auch dort stattfand. Namhafte Regisseure wie beispielsweise Jefremow teilten unsere Meinung; es gab aber auch Ansichten wie etwa: Theater muß so schön sein wie ein Museum, damit man es bestaunen kann wie die Möbel in einem schönen Museum. Das wäre genau die Haltung, die ich nicht will. Mich ärgert nur, wenn modern verwechselt wird mit modisch und wenn Figuren beschädigt werden - wenn Stücke beschädigt werden um des Interessanten willen.
Mir ist es eigentlich relativ egal, wie jemand aussieht auf der Bühne und in weichem Spielraum er steht. Wichtig ist, welche Inhalte wir für den Zuschauer transportieren. Ob in der »Räuberbande« Karl Moor Jeans an hat oder nicht, das ist nicht wichtig. Wichtig wäre zu zeigen, daß junge anarchistische Träumer von ihren Idealen träumen und an der Realität scheitern. Wenn es Mittel gibt, die dieses Figurenverhalten nahebringen an die Zuschauer im Sinne des Dichters und des Werkes mit heutigen Mitteln des Theaters, halte ich es für richtig. Aber nicht gut finde ich, wenn um des Interessanten willen Dinge gemacht werden, die letztlich die Zuschauer langweilen [...].
Aus Hartwig Albiro: Alte Stücke für heute. Erfahrungen und Probleme bei der Erbe-Aneignung. Diskussionsbeiträge von der 5. Tagung des Vorstandes unseres Theaterverbandes, S. 4.
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Umschau | |
TdZ-Porträt (34): Corinna Harfouchvon Martin Linzer | Seite 1 |
Elbe-Elster-Theater WittenbergKleine Komödie aus einem großen Haus von A. Arkanow / G. Gorin. Regie: Koschel (Der Besichtigungsschein) / Widmer (Der Einbruch) / Freydank (Sing, Nachtigall, sing!), Ausstattung: Wendel / Herklotzvon Wolfgang Kröplin | Seite 1 |
Bühnen der Stadt Magdeburg - Großes HausTartuffe von Karl Friedrich. Regie: Joachim Beese a. G., musikalische Leitung: Lothar Göthel, Ausstattung: Jan Bammesvon Elke Schneider | Seite 2 |
Städtische Theater Karl-Marx-Stadt - OpernhausDie pfiffige Magd von Julius Weismann. Regie: Carl Riha, musikalische Leitung: Johannes Zweiniger, Ausstattung: Peter Gemarius de Keppervon Wolfgang Lange | Seite 2 |
Theater der Jungen Generation DresdenRomeo und Julia von William Shakespeare. Regie: Axel Richter a. G., Ausstattung: Friederike May / Ulrike Kunze a. G.von Dagmar Borrmann | Seite 3 |
Landestheater Dessau - PuppentheaterDie Hexe im Zauberwald oder Die blaue Blume von Frieder Simon. Regie: Frieder Simon a. G., Ausstattung: Frieder und Barbara Simon a. G.von Fred Reinke | Seite 3 |
Erbaneignung | Seite 4 |
Alte Stücke für heuteErfahrungen und Probleme bei der Erbe-Aneignung / Diskussionsbeiträge von der 5. Tagung des Vorstandes unseres Theaterverbandesvon Hartwig Albiro, Karl Kayser, Sigrid Busch und Fritz Bennewitz | |
Kolumne | Seite 5 |
Theater ist unteilbarvon Gerd Rienäcker | |
Ballett | |
Ballett zwischen Gestern und MorgenZur Interpretation von Werken der Vergangenheit (9)von Bernd Köllinger | Seite 8 |
Vernarrte Liebe»Der holzgeschnitzte Prinz« / »Der Narr« in Pavel Šmoks Choreographie an der Komischen Oper Berlinvon Dietmar Fritzsche | Seite 10 |
Dietmar Fritzsche im Gespräch mit Pavel Šmokvon Dietmar Fritzsche und Pavel Šmok | Seite 11 |
Umfrage | Seite 12 |
Darsteller-Umfrage (8): Reserviert für Reserven (Gesprächsaufzeichnung Dietmar Fritzsche)Rundtisch-Gespräch mit den Tänzern der Städtischen Bühnen Erfurt Uta Müller, Petra Klapperstück, Jutta Schnuphase, Barbara Stange, Rudolf Hanisch, Helmuth Merdianvon Dietmar Fritzsche, Uta Müller, Petra Klapperstück, Jutta Schnuphase, Barbara Stange, Rudolf Hanisch und Helmuth Merdian | |
Inszenierung | Seite 15 |
Auftrieb fürs Ensemble»Die steinerne Blume« in Karl-Marx-Stadt von Brigitte Preuß inszeniertvon Dietmar Fritzsche | |
Musiktheater | Seite 16 |
Warum heiratet Angèle?Lehárs »Graf von Luxemburg« in Leipzig und Magdeburgvon Elke Schneider | |
Gespräch | Seite 19 |
Leitlinien einer KonzeptionDietmar Fritzsche im Gespräch mit Reinhold Stövesand, Intendant der Staatsoperette Dresdenvon Dietmar Fritzsche und Reinhold Stövesand | |
Uraufführung | Seite 21 |
Gastronomische Herzenssache»Zur letzten Rettung« - Uraufführung des musikalischen Lustspiels von Manfred Claus an der Staatsoperette Dresdenvon Ulrich Burkhardt | |
Musical | Seite 22 |
Musical - gesellschaftskritisch»Chicago« und »Evita« im Theater an der Wienvon Klaus Eidam | |
Dirigenten im Gespräch | Seite 25 |
Auftakt - Gespräche mit Dirigenten: Mathias Rank im Gespräch mit Siegfried Kurzvon Mathias Rank und Siegfried Kurz | |
Premiere | Seite 28 |
Othello hat höchste GesetzeZur Verdi-Premiere der Deutschen Staatsoper Berlinvon Dieter Kranz | |
Erstaufführung | Seite 30 |
Triumph der EmpfindsamkeitDDR-Erstaufführung »Die wundersame Schustersfrau« von Udo Zimmermann in Leipzigvon Wolfgang Lange | |
Oper | Seite 31 |
OpernpraxisVII. Neue Werke nachspielenvon Ernst Krause | |
Uraufführung | |
Zusammenleben, Persönlichkeit, Solidarität»Die Diebin und die Lügnerin« von Jürgen Groß in Dresden uraufgeführtvon Hans-Rainer John | Seite 32 |
Lustspiel mit und ohne LustGemeinsame Uraufführung von Rudi Strahls »Vor aller Augen« am Schauspielhaus Leipzig und am Berliner »Theater im Palast«von Achim Gebauer | Seite 33 |
Erstaufführung | Seite 36 |
Die Ausnahme als Maß»Anna Karenina« von Tolstoi / Rostschin in Magdeburg erstaufgeführtvon Wolfgang Kröplin | |
Porträt | Seite 37 |
Auf dem WegePorträt des Schauspielabsolventen Sylvester Grothvon Achim Gebauer | |
Goethe | Seite 41 |
Werdet alt, ihn zu versteh'nZur Inszenierung von Goethes »Faust II« im Leipziger Schauspielhausvon Erika Stephan | |
ČSSR | Seite 43 |
Wollen Sie das Goldene Prag sehen?Zu drei neuen Stücken in Prager Theaternvon Ingeborg Knauth | |
Ungarn | |
Örkény und die anderenNeue Stücke in Ungarn auf der Bühnevon Matthias Caffier | Seite 44 |
Verschworen auf ein ZielDas Theater der ungarischen Stadt Kaposvárvon Ingeborg Pietzsch | Seite 47 |
Sowjetunion | Seite 51 |
Synthetisches TheaterAlexander Tairows Theaterprogramm und der Einfluß der Oktoberrevolutionvon Wolfgang Kröplin | |
Garderobengespräch | Seite 56 |
Peter Beckert(Aufgezeichnet von Monika Mehnert)von Monika Mehnert und Peter Beckert | |
Gespräch | Seite 57 |
Mehr Phantasie!Gespräch mit dem Regisseur Karl-Friedrich Zimmermann, Magdeburg (Aufgezeichnet von Ingeborg Pietzsch)von Ingeborg Pietzsch und Karl-Friedrich Zimmermann | |
Kinder- und Jugendtheater | Seite 60 |
Die Kinder an die Hand nehmenFragen zur Dramatik für junge Leutevon Christel Hoffmann | |
Zum Stückabdruck | Seite 62 |
Wenn sich ein Theater fände ...Mit Sibylle Hentschel und Beate Morgenstern sprach Ingeborg Pietzschvon Ingeborg Pietzsch, Sibylle Hentschel und Beate Morgenstern | |
Stückabdruck | Seite 64 |
Pellkartoffelvon Sibylle Hentschel und Beate Morgenstern | |
TdZ-Informativ | Seite 73 |
Chefdramaturgen-Seminar 1982von Gesine Carlitschek | |
Inland | |
Theater im Friedenskampfvon Elke Wiegand | Seite 74 |
Gespräche mit Gästenvon br | Seite 74 |
Personelles | Seite 75 |
Inland | |
7. Arbeitstage für Tänzervon Antje Brauer | Seite 75 |
Bezirkstagung der Ausstattervon Ernst-Otto Hamann | Seite 76 |
Unterwegs | Seite 77 |
Dresdner Staatsoper in Edinburghvon Mathias Rank | |
Optimisten | |
OISTT-Ausbildungskommission tagtevon Jürgen Altmann | |
Ausland | Seite 78 |
Musiktheater-Novitätenvon | |
Ausschnitte | |
Theaterleute gegen Reagan(In »Frankfurter Rundschau«von Helga Tilton | Seite 78 |
Dortmund - Mordmund(In »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, 21. 9. 82)von Jochen Schmidt | Seite 78 |
Schlußphase(In »Die Deutsche Bühne« August 82)von Britta Lüttringshaus | Seite 79 |
Ausland | Seite 79 |
Hausse in Theaterhäusern | |
Diese Saison in Polen (II)von Roman Szydłowski | |
Bücher | Seite 80 |
Ansichten der Deutschen Klassik. Herausgegeben von Helmut Brandt und Manfred BeyerAufbau-Verlag Berlin und Weimar 1981, 451 S., 12,- Mvon A. M. | |
Die Clowns von Avignon / Klopfzeichen. Zwei nachgelassene Stücke, herausgegeben von H. D. TschörtnerHenschelverlag Berlin 1982, dialog-Reihe, 181 S., 4,- Mvon Hans-Rainer John | |
Harold Pinter: Der stumme Diener. Ausgewählte DramenInselverlag Leipzig 1981 (lnsel-Bücherei Nr.1048) 157 S., 2,50 Mvon Hans-Rainer John | |
Spielpläne | Seite 81 |
Vom 16. November bis 15. Dezember 1982 | |
Premierenkalender | Seite 83 |
Vom 16. November bis 15. Dezember 1982 | |
Besetzungen | Seite 83 |
Ur- und Erstaufführungen / Schauspiel / Musiktheater | |
Autoren | Seite 85 |
Impressum | Seite 85 |
Inhalt | Seite 88 |
Hartwig Albiro
Jürgen Altmann
Peter Beckert
Fritz Bennewitz
Dagmar Borrmann
br
Antje Brauer
Ulrich Burkhardt
Sigrid Busch
Matthias Caffier
Gesine Carlitschek
Klaus Eidam
Dietmar Fritzsche
Achim Gebauer
Ernst-Otto Hamann
Rudolf Hanisch
Sibylle Hentschel
Christel Hoffmann
Hans-Rainer John
Karl Kayser
Petra Klapperstück
Ingeborg Knauth
Bernd Köllinger
Dieter Kranz
Ernst Krause
Wolfgang Kröplin
Siegfried Kurz
Wolfgang Lange
Martin Linzer
Britta Lüttringshaus
A. M.
Monika Mehnert
Helmuth Merdian
Beate Morgenstern
Uta Müller
Ingeborg Pietzsch
Mathias Rank
Fred Reinke
Gerd Rienäcker
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