
Heft 04/1984
DDR-Dramatik 1983
Bilanz, Probleme, Aufgaben
Broschur mit 80 Seiten, Format: 200 x 290 mm
ISSN 0040-5418
1. Rund ein halbes Hundert neuer Texte für's Theater gelangte 1983 an die Öffentlichkeit. Zwanzig von ihnen waren als Uraufführung an unseren Schauspiel bühnen zu besichtigen, andere wurden vom Henschel-Verlag oder von »Theater der Zeit« publiziert, wieder anderen konnte man in der Leipziger Lesereihe »Das neue Werk«, bei den Rostocker Autorentagen oder auf der Potsdamer DDR-Dramatik-Werkstatt begegnen. Verstummen, Sprachlosigkeit, auch denkbar bei neuerlicher Erstschlagsdrohung aus westlicher Nachbarschaft, traten nicht ein. »Der Verzicht auf Poesie wäre schon Verzicht auf ein gewaltiges Stück Leben« (H . Kant). Er fand nicht statt. Mit der Quantität geschriebener und gespielter DDR-Dramatik können wir uns international sehen lassen.
Trotzdem ist Selbstzufriedenheit nicht am Platze. Das Produktions- und Rezeptionsgefüge Autor-Darsteller-Zuschauer weist noch zu viele Mißverständnisse, Mißverhältnisse und Verluste auf, dabei hat jeder der Partner seine berechtigten, begründeten Fragen, und die sind gelegentlich ganz praktischer Natur. Der Autor hat Stücke geschrieben, will sie gespielt sehen und fragt: Warum nicht? Der Darsteller hat das szenische Spiel und die Gestaltung von Charakteren gelernt und fragt: Gibt der Text hinreichend Möglichkeiten zum phantasievollen Spiel und zur Darstellung bewegender menschlicher Charaktere? Der Zuschauer erlebt tagtäglich eine komplizierter gewordene Wirklichkeit und fragt: Wird da tatsächlich meine Wirklichkeit, werden da die wesentlichen Konflikte und Ideale meines eigenen Lebens verhandelt? Kooperation, ohne die es hier nicht geht, verlangt, die Fragen und Gründe des anderen ernst zu nehmen.
Auf Entdeckung, Bereicherung, Sinngewinn nämlich sind sie allesamt aus. Kräftiger als je zuvor, das hat das Jahr 83 gezeigt, bringen sie ihre eigene Individualität ins Spiel. Ihr subjektiver Anspruch, der persönliche Erfahrungshintergrund und ihr verfügbares Aktivitätspotential werden thematisch und strukturell prägend für den schöpferischen bzw. nachschöpferischen Prozeß. Das hat auf allen Seiten Konsequenzen. Für die Autorenseite beispielsweise heißt das: Die deutliche Anwesenheit des Subjekts Autor im Objekt Kunstwerk mindert den unterstellten Grad der Objektivierung, es kommen sehr divergierende Bühnentexte zustande, resultierend auch aus konträren Theaterkonzeptionen und Wirkungsstrategien, das vermittelte wie unvermittelte Einbringen des Autoren subjekts in den Widerspiegelungsprozeß geht einher mit Experimenten in Form, Struktur und Darstellungsweise; diese treffen nun im Falle der Dramatik, die den Autorenkommentar mit seiner Reflexion der Gestaltungsmittel nicht kennt, auf die notwendigen, durch Tradition und Erfahrung geprägten Partner: Theater und Publikum. Und je virtuoser, origineller und konsequenter die Experimente dramatisch bewältigt sind, desto größer wird das Problem der theatralischen Aneignung.
2. Die seit Jahren verstummte Diskussion um den sozialistischen Realismus kommt in jüngster Zeit wieder sehr in Bewegung. Die Anlässe reichen vom Professorenkollegium des Berliner Rundfunks über Neuerscheinungen von Grundsatzwerken der Ästhetik bis zu markanten Theaterinszenierungen. Da keine Ewigkeitsdefinition, sondern theoretische Widerspiegelung des künstlerischen Verhaltens gegenüber der Wirklichkeit, sind Wesen und Inhalt des sozialistischen Realismus an die Veränderungen beider gebunden: der Wirklichkeit selbst wie ihrer ästhetischen Aneignung. Nur logisch, daß die gegenwärtig gravierenden Veränderungen in beiden Bereichen die Grundsatzdiskussion neu beleben. Exemplarisch dafür mögen zwei Unternehmungen ganz verschiedener Größenordnung stehen, einmal nämlich die Gesellschaftswissenschaftliche Konferenz des ZK der SED im Dezember 1983, zum anderen das schon 1981 erschienene, seitdem aber zunehmend stärker diskutierte Buch »literarische Widerspiegelung« von Dieter Schlenstedt. Alle anderen Aspekte hier außer acht gelassen, scheint es mir von prinzipieller Bedeutung, daß Konferenz und Buch sich in einem zentralen Punkt treffen, in einem Schlüsselbegriff für die Gestaltung der Wirklichkeit wie für deren künstlerische Widerspiegelung; die Rede ist von der »Menschenwelt«.
Und deshalb muß, wohl wissend, daß gerade die Konfrenz das Zitat ersetzen möchte durch seine Anwendung, gleich zweimal zitiert werden. In seinem Konferenzreferat sagt Kurt Hager: »In unserem Lande haben die Künste einen großen Spielraum, denn in der Kunst und durch die Künste begegnen wir der Menschenwelt in ihren historischen Dimensionen.« [1]
Diesen großen Spielraum umreißt Schlenstedt in seinem Einleitungskapitel »Problemfeld Widerspiegelung« für den Bereich der literatur folgendermaßen: »Was uns Literatur zu sehen, zu denken, zu empfinden gibt, sind Beispiele von Lebenspraxis, Fälle äußeren oder inneren Handeins von Menschen in der Menschenwelt und Beispiele von Phantasiewirklichkeit, die die Imagination über der Menschenwelt errichtet.« [2] Nimmt man die mit Nachdruck und Überlegung gesprochenen Worte beim Wort, nimmt man außerdem die konstituierenden Begriffe der Hager-Rede noch hinzu, so zeichnet sich ein Koordinatensystem gegenwärtigen künstlerischen Schaffens ab - Menschenwelt und Lebenspraxis, Denken und Handeln, historische Dimension und Phantasiewirklichkeit, Spielraum und Imagination, Triebkräfte und Werte des Sozialismus. Dazu müssen sich die Künste ins Verhältnis setzen. Auch Dramatik und Theaterkunst. [...]
1 Kurt Hager, Gesetzmäßigkeiten unsere Epoche - Triebkräfte und Werte des Sozialismus. Berlin 1983, S. 59
2 Dieter Schlenstedt, Literarische Widerspiegelung. Berlin 1981, S. 157
Aus: Peter Reichel: DDR-Dramatik 1983. Vor den Werkstatt-Tagen des Schauspiels, Mai 1984 in Leipzig - Bilanz, Probleme, Aufgaben, S. 21-24
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Umschau | |
Gastspiel der Grupo Teatro Escambray im Volkstheater RostockRamona von Roberto Orihuela. Regie: Sergio Corrieri, Ausstattung: Alberto Carol, Musik: Orlando Rodriguezvon Dieter Kranz | Seite 1 |
Berliner Ensemble - ProbebühneJacke wie Hose von Manfred Karge. Regie: Peter Konwitschny a. G.von Silvia Brendenal | Seite 1 |
Thomas-Müntzer-Theater EislebenSchießt nicht auf weiße Schwäne von Wassiljew / Westphal. Regie: Frank Hofmann, Ausstattung: Fridjof-Karl Hoffmann / Ariane Schuchardt, Musik: Michael Baumgärtlvon Regina Schneider | Seite 2 |
Landesbühnen SachsenCyrano aus Bergerac von Edmond Rostand. Regie: Peter Krüger, Ausstattung: Eberhard Söhnel, Musik: Dietmar Staskowiakvon Jochen Gleiß | Seite 2 |
Landesbühnen SachsenDer Mikado von Arthur Seymour Sullivan. Regie: Klaus Kahl, musikalische Leitung: Horst Busch, Ausstattung: Rolf Döge / Eva Christvon Wilhelm Hübner | Seite 3 |
Volkstheater HalberstadtDie schlecht behütete Tochter von Dauberval / Hérold. Choreographie/Inszenierung: Christel Schröder, musikalische Leitung: Hans Auenmüller, Ausstattung: Margot Puffvon Karin Schmidt-Feister | Seite 3 |
Theaterpolitik | Seite 4 |
Unser Theater - höhere Wirksamkeit, höhere VerantwortungGedanken zur Situation und Perspektivevon Wolfgang Heinz | |
Kolumne | Seite 5 |
Vor uns der Alltagvon Christoph Funke | |
Shakespeare | |
Das Opfer Cressida»Troilus und Cressida - Eine Probe zu Shakespeare«, Theaterwürfel - Initiative Junger Schauspieler Berlinsvon Ingeborg Pietzsch | Seite 7 |
Machtspiel mit Marionetten»Maß für Maß« von Shakespeare am Deutschen Nationaltheater Weimarvon Bernhard Scheller | Seite 9 |
Schiller | |
Politisches Ideendrama?»Don Carlos« von Schiller in Neustrelitz und Magdeburgvon Achim Gebauer | Seite 10 |
Sich Schiller nähern (2)Individuelles und Offiziellesvon Hartwig Albiro | Seite 12 |
Sich Schiller nähern (2)Erika Stephan im Gespräch mit Ekkehard Kiesewetter über die Erfahrungen mit »Maria Stuart«von Erika Stephan und Ekkehard Kiesewetter | Seite 12 |
Porträt | Seite 14 |
VerwandlungenPorträt-Versuch über den Schauspieler Jörg Gudzuhnvon Ingeborg Pietzsch | |
Uraufführung | Seite 17 |
Antike mit Augenzwinkern»Die Kinder« von Peter Hacks in Greifswald uraufgeführtvon Ulf Brandstädter | |
Inszenierung | |
Jäger und Gejagte»Schluck und Jau« von I:lauptmann an der Volksbühne Berlinvon Martin Linzer | Seite 19 |
»Ihm, der unser Blut war, unsere Freude ...«»Glanz und Tod des Pablo Neruda« von Jorge Díaz in Rostockvon Knut Lennartz | Seite 20 |
Werkstatt-Tage | Seite 21 |
DDR-Dramatik 1983Vor den Werkstatt-Tagen des Schauspiels, Mai 1984 in Leipzig: Bilanz, Probleme, Aufgabenvon Peter Reichel | |
Inszenierung | Seite 24 |
Allgemein lebhaft»Die Hochzeit des Figaro« von Mozart in Erfurt und Schwerinvon Wolfgang Lange | |
Werkstatt-Tage | |
III. Werkstatt-Tage des DDR-Musiktheaters in Karl-Marx-StadtGroße und komplizierte Aufgaben - Aus der Rede des Stellvertretenden Ministers für Kultur, Martin Meyer, zur Eröffnungvon Martin Meyer | Seite 26 |
III. Werkstatt-Tage des DDR-Musiktheaters in Karl-Marx-StadtTraditions- und Geschichtsbewußtsein im zeitgenössischen Opernschaffenvon Gerd Rienäcker | Seite 29 |
III. Werkstatt-Tage des DDR-Musiktheaters in Karl-Marx-StadtSubjektive Marginalien - Ich fühle mich angeregtvon Wolfgang Lange | Seite 30 |
III. Werkstatt-Tage des DDR-Musiktheaters in Karl-Marx-StadtNeugier auf Neuesvon Joachim Robert Lang | Seite 32 |
III. Werkstatt-Tage des DDR-Musiktheaters in Karl-Marx-StadtSage keiner ...von Gerd Natschinski | Seite 34 |
Uraufführung | |
AufschreckungenUraufführung der Kammeropern »Kontrabaß« von Gerhard Schedl / »Die Tür« von Karlheinz Schrödl an der Staatsoper Dresdenvon Wolfgang Lange | Seite 34 |
Komponist und WerkKarlheinz Schrödl »Die Tür«von Mathias Rank | Seite 35 |
Umfrage | Seite 37 |
Sänger und zeitgenössische Oper (II)von Volker Schunke, Edda Schaller-Keyn, Rolf Haunstein, Marie-Luise Lorenz, Wolfgang Klose, Gertraud Prenzlow und Ekkehard Pohl | |
Inszenierungen | Seite 42 |
Lucia hier, Fritz Wendelin dort»Lucia di Lammermoor« von Gaetano Donizetti / »Der Tanz ins Glück« von Robert Stolz in Leipzigvon Eckart Kröplin und Annette Siegmund-Schultze | |
Shakespeare | Seite 44 |
Liebe in BedrohungZu neuen Inszenierungen von »Romeo und Julia« an der Komischen Oper und an der Staatsoper Dresdenvon Werner Gommlich | |
Ballett | Seite 46 |
Ballett für KinderGera, Stralsund, Frankfurt/Odervon Dietmar Fritzsche und Volkmar Draeger | |
China | Seite 49 |
Die zwei WofürTheater in der Volksrepublik China: für das Volk, für den Sozialismusvon Klaus Pfützner | |
Zum Stückabdruck | |
Fausts Höllen- und Erdenfahrtvon Ernst-Frieder Kratochwil | Seite 52 |
Eigentlich wollte ich keinen Faust schreibenvon Helmut Baierl | Seite 52 |
Helmut Baierl schrieb ...von Gotthard Feustel | Seite 53 |
Stückabdruck | Seite 56 |
Die Erdenfahrt des Doctor FaustNach Motiven alter Puppenspielevon Helmut Baierl | |
TdZ-Informativ | Seite 65 |
Vorhaben des Theaterverbandes | |
Inland | |
Einladung zu Tai Chi Chuan | Seite 66 |
5. Intensivkurs für Sängervon Dietrich H. Litt | Seite 66 |
Theatertage für Pädagogenvon Silke Panzner | Seite 66 |
Verständigung über Schillervon Jochen Gleiß | Seite 67 |
Personelles | Seite 67 |
Unterwegs | |
Leningrad-Eindrückevon Wolfgang Staerkenberg | Seite 68 |
Vergebene Chancenvon Rüdiger Volkmer | Seite 69 |
Ausland | |
Rückschau auf das Jahr des tschechischen Theatersvon Daria Ullrichová | Seite 70 |
Inland | Seite 70 |
Neu bei Henschelvon Jochen Gleiß | |
Bücher | |
Rudi Strahl: Menschen - Masken - MimenHenschelverlag Berlin 1984, 143 S., 3,20 Mvon Hans-Rainer John | Seite 70 |
Alexander Lang: Abenteuer Theater & Heinrich Mann: Die Traurige Geschichte von Friedrich dem Großen. Hrsg. von Martin Linzerdialog-Reihe. Henschelverlag 1983, 232 S., 6,-Mvon Erika Stephan | Seite 71 |
Peter Schreier: Aus meiner Sicht. Gedanken und Erinnerungen. Aufgezeichnet und herausgegeben von Manfred MeierUnion Verlag Berlin 1983, 206 S., 54 Fotos und 3 Abb., DDR 14,80 Mvon Dietmar Fritzsche | Seite 71 |
Briefe | |
Kritik der Kritikvon Michael Hubert | Seite 72 |
Entgegnungvon Achim Gebauer | Seite 72 |
Lieber Peter Reichel!von Gottfried Fischborn | Seite 72 |
UnkorrektZu TdZ 2/84von Michael Hametner | Seite 73 |
Spielpläne | Seite 73 |
Vom 16. April bis 15. Mai 1984 | |
Besetzungen | Seite 75 |
Ur- und Erstaufführungen / Schauspiel / Musiktheater | |
Premierenkalender | Seite 75 |
Vom 16. April bis 15. Mai 1984 | |
Autoren | Seite 79 |
Impressum | Seite 79 |
Inhalt | Seite 80 |
Hartwig Albiro
Helmut Baierl
Ulf Brandstädter
Silvia Brendenal
Volkmar Draeger
Gotthard Feustel
Gottfried Fischborn
Dietmar Fritzsche
Christoph Funke
Achim Gebauer
Jochen Gleiß
Werner Gommlich
Michael Hametner
Rolf Haunstein
Wolfgang Heinz
Michael Hubert
Wilhelm Hübner
Hans-Rainer John
Ekkehard Kiesewetter
Wolfgang Klose
Dieter Kranz
Ernst-Frieder Kratochwil
Eckart Kröplin
Joachim Robert Lang
Wolfgang Lange
Knut Lennartz
Martin Linzer
Dietrich H. Litt
Marie-Luise Lorenz
Martin Meyer
Gerd Natschinski
Silke Panzner
Klaus Pfützner
Ingeborg Pietzsch
Ekkehard Pohl
Gertraud Prenzlow
Mathias Rank
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