
ASSITEJ
Beobachtungen zur Online-Spielzeit mit+abstand von KJTZ und ASSITEJ
von Philipp Schulte
mit+abstand – die epidemiologisch angeratene Devise des Frühjahrs 2020 – wurde kurzerhand in ein visionäres Spielzeitmotto umgewandelt. Die Organisator*innen vergaben 15 Mini-Stipendien an freischaffende Künstler*innen.
Verbunden mit der Aufforderung, abstands- und online-taugliche kleine Formate für ein junges Publikum zu entwickeln, entstanden neue Kurzfilme und Hörstücke, Minutenmärchen, interaktive Diskussionsformate über die Zukunft des Theaters, ungewöhnliche literarische Texte, Aktionen im öffentlichen Raum und eine choreographische Studie. Diese wurden als Spielzeit auf dem Blog des KJTZ zwischen 20. April und 12. Juni 2020 veröffentlicht. Zeit für eine kurze Bilanz – in Form von sechs Antworten auf die Frage: Wie kommt das Neue in die Welt?
1. Formal oft einfach ...
Einen Ort, eine Zeit, eine Hauptfigur, einen Konflikt, einen Feind, eine Wende – dass es gar nicht viel braucht, um gute Geschichten zu erzählen, zeigt Till Wiebel in seinem partizipativen Textprojekt DIE QUAL / DER WAL. Für all diese Kategorien macht er in seinem Online-Katalog zahlreiche ebenso witzige wie absurde Vorschläge; die Geschichten (und Spielregeln) dazu müssen wir uns selber ausdenken, oder aushandeln, oder erwürfeln. Ob sich nun ein Pfau in einer Brauerei mit einer unerwiderten Liebe auseinandersetzen muss, oder ein Eisberg am Weihnachtsmorgen von einem Bademeister entführt wird: Wiebels Open-Source-Projekt bietet Stoff für mehr Erzählungen als ein Baum an Blättern trägt und zeigt, wie…mehr
aus der Zeitschrift: IXYPSILONZETT 02/2020
Schwerpunkt
Marion Troja im Gespräch mit Marie Jensen und Selin Dörtkardes
von Selin Dörtkardes, Marie Jensen und Marion Troja
Marie Jensen und Selin Dörtkardes ̧ gehören seit dieser Spielzeit zum Ensemble des Jungen Schauspiels Düsseldorf. Für beide ist es das erste feste Engagement. Im Interview berichten sie über ihre Erfahrungen an Schauspielschulen und darüber, wie die Ausbildung sie auf das Spielen vor jungem Publikum vorbereitet hat.
Die Frauen lümmeln sich auf dem Sofa in der Maske und liefern sich einen Schlagabtausch. Mit viel Schmäh in der Stimme grantelt sich Marie Jensen in Stimmung, seziert morgendliche Routinen. Selin Dörtkardeş schnauzt zurück, ihr Slang stammt aus Berlin-Neukölln. Während die beiden um 10 Uhr darauf warten, sich vor dem Spiegel in rechtsgesinnte Schülerinnen für Kristo Šagors Inszenierung Jugend ohne Gott zu verwandeln, steigern sie miteinander ihr Energieniveau. Wenige Minuten später balancieren sie auf einer kippeligen Bühne und spielen für 300 Jugendliche ab 13 Jahren diese Geschichte aus dem Jahr 1936.
Mal gelingt das glänzend, mal ist es harte Arbeit. Die 1991 im Rheinland geborene Marie Jensen hat erlebt, wie sie ein Schüler im Publikum während der Vorstellung übel beschimpft hat. Cool kam er sich vor. Die Schauspielerin war entsetzt. „Das ist ganz schön heftig, wenn verschwimmt, ob sich die Kritik gegen das richtet, was du machst, oder gegen dich persönlich.“ Im Nachgespräch habe sie Klartext mit ihm geredet und gesagt, dass er sie verletzt habe, dass er darauf achten solle, welche Kraft seine Worte haben. „Ich bin sicher, die direkte Begegnung mit mir…mehr
aus der Zeitschrift: IXYPSILONZETT 01/2019

Beiträge
Kulturelle Diversität als Herausforderung im Theater für junges Publikum
von Bernd Mand
Wer geht ins Theater und wer nicht? Und vor allem warum? Hemdsärmelig heruntergebrochen könnte man die Diskussion um die Öffnung des Theaters für Junges Publikum für Menschen, die bisher den Weg ins Theater nicht fanden, wohl zusammenfassen. Eine Diskussion, die schon lange geführt wird und zu viel Kopfzerbrechen bei Theatermachern und Veranstaltern führt. Und eine Diskussion, die mit den Jahren nicht unbedingt einfacher geworden ist. So jedenfalls schien es bei der Reflexionsveranstaltung anlässlich des Tag der Theaterpädagogik, zu der das Förderprogramm „Wege ins Theater“ der ASSITEJ e. V. in Kooperation mit FLUX, LaPROF und dem Bundesverband Theaterpädagogik (BuT) eingeladen hatte.
„Diversitätsorientiertes Audience Development. Eine bildungs- und kulturpolitische Herausforderung im Theater für junge Zuschauer“ lautete die Überschrift der Veranstaltung, die Theaterpädagogen, Dramaturgen, Theatermacher und Kulturvermittler ins Theaterhaus Frankfurt brachte. Im Podiumsgespräch mit Ipek Abali (Westfälisches Landestheater Castrop-Rauxel), Volkan T., (Akademie der Autodidakten im Ballhaus Naunynstraße, Berlin) und Ute Bansemir (Theaterperipherie Frankfurt) und im Kurzimpuls von Anna Eitzeroth (Projektleiterin des ASSITEJ-Programms „Wege ins Theater“) wurden dabei unterschiedliche Ansätze, Formate und Strukturbeispiele vorgestellt, die vom Scoutprogramm bis zur künstlerischen Beteiligung Ideen darstellten, wie man sein Publikum über kulturelle Unterschiede hinweg erreicht und…mehr
aus der Zeitschrift: IXYPSILONZETT 02/2016

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Schwerpunkt
Ein Werkstattgespräch mit Christian Thurm über Bühnenbilder und Erzählräume im Theater für junges Publikum
von Bernd Mand
Über 60 Bühnenbilder hat Christian Thurm seit 2003 für den Mannheimer Schnawwl und die Junge Oper geschaffen und damit das Gesicht des Jungen Nationaltheaters mitgeprägt, an dem er zuvor bereits als Technischer Leiter tätig war. Ein Porträt.
Mannheim ist nass an diesem Nachmittag. Nass und grau. Christian Thurm wartet vor dem Eingang zu den Werkstätten des Nationaltheaters. „Das perfekte Wetter für Erkältungen“, sagt er auf dem Weg durch die Schreinerei in den Besprechungsraum und lacht leise. „Ich spür’s auch schon bei mir.“ Weiß und aufgeräumt sitzt es sich hier während im Haus um einen herum geschraubt, geschnitten und gemalt wird. Aber auch hier haben sich neben dem blanken Konferenztisch noch zwei Schneidemaschinen hineingeschummelt. Ein Ort, der auch ganz gut als Sinnbild für die Arbeitswelt von Thurm stehen könnte.
Christian Thurm war seit 1997 Technischer Leiter am Jungen Nationaltheater und ist seit dieser Spielzeit Ausstattungs- und Produktionsleiter. Davor standen fünf Jahre Messebau, ein Industriedesignstudium an der Kunstakademie in Stuttgart und die Ausbildungen zum Schreiner und Schlosser auf dem Plan. „Ich war ja nie ein guter Schüler“, holt Thurm aus und lacht. „Aber nach der Schule wollte ich’s meinem Vater zeigen, der war auch Industriedesigner.“ Eine Tätigkeit, die Christian Thurm gerne mit seiner heutigen Arbeit vergleicht. „Als Industriedesigner arbeitest du auch viel mit Bildern und der Erstellung von neuen Welten, gerade in der Entwicklung von…mehr
aus der Zeitschrift: IXYPSILONZETT 01/2016

Zwischenruf
Eine Frage der Kommunikation
von Cathrin Rose
Mitkas, ein ungarischer Jugendlicher, Teilnehmer der Free School von Arpad Schillings Produktionsstätte Kretakör in Budapest, eröffnete seinen Redebeitrag bei einer internationalen Konferenz in Wien zum Thema Macht, Peripherie und Kulturpolitik wie folgt: Er ist es leid, zu hören, dass sie, die jungen Menschen, die Zukunft seien. Er ist die Gegenwart, und er hat etwas zu sagen. Jetzt schon.
Mitkas hat Recht: Sprache und Kommunikation sind Mittel der Machtausübung. Schon in der Art wie wir jemanden ansprechen, weisen wir ihm einen Platz in der gesellschaftlichen Ordnung zu. Mit dem Verweis auf die Wichtigkeit der Jugend in der Zukunft halten wir ihnen gleichzeitig ihre aktuelle Machtlosigkeit vor. Mit Sprache schaffen wir Fakten und bringen eine Haltung zum Ausdruck.
Für mich bedeutet Fortschritt im Theater, damit zu beginnen, dieses „Jetzt schon“, das Mitkas einfordert, zu ermöglichen. Wichtige Voraussetzung dafür ist die Kommunikation mit den Jugendlichen, die Art der Ansprache und im Besonderen die Kommunikation über die Jugendlichen.
Die Stadt- und Staatstheater haben da einen ganz klaren Nachholbedarf. Sie kommunizieren letztlich fast gar nicht mit den jungen Menschen, die für sie eher in ihrer Funktion als Publikum der Zukunft interessant sind. Bis das soweit ist, kümmert sich in Deutschland die große und großartige Kinder- und Jugendtheaterszene, oft eine Sparte der großen Theater, um diese Zielgruppe.
Doch auch hier, in den Institutionen der Kinder- und…mehr
aus der Zeitschrift: IXYPSILONZETT 03/2015
Schwerpunkt
Sexualität und Gender im zeitgenössischen Jugendtheater
von Maja Bagat
Die auf dem gleichnamigen Roman basierende Geschichte handelt von einem Mädchen, das sämtlichen Jungs den Kopf verdreht und die Freundschaft der männlichen Protagonisten auf die Probe stellt. Während Lila alle anderen Männer im Viertel ignoriert, nimmt sie Kontakt zu Chimo auf. Lila befriedigt ihn auf einer halsbrecherischen Fahrradtour; sie erzählt ihm ihre ungewohnten Wünsche und Träume; sie lässt ihn teilhaben an ihrer Fantasie. Und während Chimos Freunde Lila als Schlampe abtun – nicht, weil ihre Sprache obszön ist, denn Lila spricht nur mit ihm, sondern weil sie die Jungs ignoriert – bleibt Chimo immer wieder irritiert und sprachlos vor ihr stehen. „Sagt Lila“ handelt von Ungewissheit, unglaublicher Intimität und unüberwindbarer Distanz – und endet tragisch.
Als Dramaturgin von „Sagt Lila“ habe ich mich im vergangenen Jahr eingehend mit Sexualität, Vertrauen und dem Erleben der ersten Liebe beschäftigt. Die Publikumsgespräche und die Feedbacks, die wir vom jungen Publikum erhielten, zeigten allerdings, dass nicht die vulgäre Sprache, die einen wichtigen Aspekt in der Geschichte darstellt, per se schockiert, sondern vielmehr die Tatsache, dass diese schmutzigen Wörter über die Lippen eines Mädchens kommen. Man möchte meinen, dass dies nichts Neues sei für ‚die‘ Jugendlichen, schliesslich begrüssen sie sich mit „Yo, bitches“, bringen sich mit „Chill deinen Schlitz“ zum Schweigen oder bezeichnen sich als „Famebitches“.
Engel mit Nuttenschnauze
Aber genau da liegt der…mehr
aus der Zeitschrift: IXYPSILONZETT 02/2015

Schwerpunkt
Das Théâtre Massalia in Marseille
von Antonia Blau
Offenheit für alle Künstler und Sparten kennzeichnet die Arbeit des Théâtre Massalia als Teil des Kunst- und Kulturzentrums La Friche la Belle de Mai in Marseille. Neben der Begleitung der Künstler und der Recherche nach innovativen Formaten steht die Arbeit mit Multiplikatoren und den Kindern und Jugendlichen selbst im Mittelpunkt des Theaters, das an verschiedenen Orten im Viertel Belle de Mai aktiv ist, einem der ärmsten Viertel im gesamtfranzösischen Vergleich.
Ein Mann. Allein auf der Bühne. Mit dem Rücken zum Zuschauerraum. Ein Laptop mit Webcam. Und eine Leinwand, die als Spiegel funktioniert. Dort entdecken die winkenden Kinder im Publikum sich selbst und die Vorderseite des Darstellers. Die Bühne und ihre Ausstattung sind minimalistisch und Alessandro Sciarroni bewegt sich darauf als einzelner Performer. Das Publikum verfolgt den Kör- per des Tänzers auf der Bühne und leicht zeitversetzt und verfremdet auf der Leinwand. Wie in einem Spiegelkabinett faszinieren die grotesken verzerrenden Effekte der Kamera, die eine Begegnung mit dem Bekannten im Fremden möglich machen.
Im Rahmen des jährlichen Marseiller Festivals für zeitgenössischen Tanz Dansem (Danse contemporaine en Méditerranée) präsentiert das Théâtre Massalia „Joseph_Kids“ des italienischen Tänzers und Choreographen, eine Weiterentwicklung seines tänzerischer Selbstportraits von 2011. Diese Koproduktion ist Beispiel der Arbeitsweise und der Schwerpunktsetzung des Kinder- und Jugendtheaters. In der…mehr
aus der Zeitschrift: IXYPSILONZETT 01/2015