
backstage
FINZI
von Michael Eberth
Taschenbuch mit 136 Seiten, Format: 140 x 195 mm
ISBN 978-3-940737-37-3
Dieses Buch ist leider vergriffen
› Erstmalig und umfassend: Samuel Finzi im Porträt
› Mit exklusiver Fotostrecke von Daniel Josefsohn
› Mit einem Vorwort von Dimiter Gotscheff
Samuel Finzi wurde 1966 im bulgarischen Plovdiv als Sohn eines jüdischen Schauspielers und einer bulgarischen Pianistin geboren, aufgewachsen ist er in Sofia. Als Zwölf jähriger wollte er Dirigent werden, weil er hoffte, dass ihn dieser Beruf aus dem Gefängnis Bulgarien herausführen würde, entschied sich aber anders und bewarb sich im ersten Jahr seiner Schauspielausbildung um einen Studienplatz in China, weil er Peking für eine mögliche Station auf dem Weg in die Freiheit hielt.
Im Zuge der Perestroika konnte er 1988 in Paris eine der Theaterszenen des freien Europa studieren, kehrte aber nach drei Monaten ernüchtert nach Sofia zurück. Nur wenige Wochen nach dem Fall der Mauer brach er nach Berlin auf, um sein Theaterglück zu suchen. Er geriet in eine Theatersekte, in der man ihm während der Proben die Aussprache der deutschen Wörter beibringen musste, wurde vom Regisseur Dimiter Gotscheff ins deutsche Stadttheater eingeführt - und ist neunzehn Jahre später einer der Stars der Berliner Theaterszene. Im Gespräch mit Michael Eberth schildert er seinen Lebensweg und beschreibt, wie ihn die Verlogenheit der sozialistischen Kunstdoktrin traumatisiert und zum Absolutisten eines Theaters gemacht hat, das die Wahrheit im gespielten Augenblick sucht.
„Einer, an dem sich alle werden messen müssen, die noch Messlatten ihr eigen nennen.“ Süddeutsche Zeitung
Der Gaukler
Ein Vorwort von Dimiter Gotscheff
Geboren ist er im Süden von Osteuropa, in der Nähe des Rhodopen-Gebirges, wo nach der alten Sage Orpheus seine Auftritte gehabt hat. Aufgewachsen ist er unter dem Klavier der Mutter Gina - Slawin, eine beseelte und besessene Pianistin. Sie hat ihm wohl die Musik in seine Gedärme eingehämmert. In seinem Nacken hockt Vater Itzko - Jude, ein rastloser Gaukler, der die Lachmuskeln der Menschen zum Zerreißen bringen kann. Mit solchen Eltern aufzuwachsen, kann eine Glückssache sein, oder die Hölle. Es ist ungeheuer schwer, die eigene Spur im Leben zu finden.
Der Sprung aus dem Nest macht die Küken selbständig.
Hinter dem Rücken der ahnungslosen Elterngiganten. Die Gene schlagen zu: Samuel springt in die Schauspielerei. Die Welt in der Sofioter Akademie der Künste wird ihm aber sehr schnell zu eng. Er packt seine Sachen und entschwindet nach Westeuropa. Hier begegne ich ihm, dem entlaufenden Gaukler und Landsmann aus den Rhodopen. Latein, Altgriechisch, Russisch, Französisch und Englisch kann er. Warum soll er nicht schnell Deutsch lernen? In Berlin lebt er zusammen mit Dimitra, seiner späteren Frau, die aus seiner und unserer Welt zu früh entschwindet.
Auf der Bühne sehe ich ihn zum ersten Mal in einer Inszenierung von Ivan Stanev. Meine Regieinstinkte melden sich sofort: Mit diesem jungen, merkwürdigen Wesen von Schauspieler muss ich arbeiten. Ich mache ihm ein Angebot.
Ich ahne nur vage, was er in dieser Zeit durchmacht. Ich mache meine Schritte auf ihn zu, und er die seinen auf mich. Aber viel existentieller ist sein Entschluss, die Berliner Freie Szene zu verlassen.
Samuel springt in die Maschinerie der gut subventionierten deutschen Staatstheater. Doch eins ist sicher: Er macht es nicht wegen der fetten Gagen, die dort ausgeteilt werden. Ich Schufterei auf den germanischen Theaterbrettern beginnt.
Aber Samuel kann man nicht an einer Stelle fesseln. Er ist ein Rastloser. Außerdem hat man mehr von ihm, wenn man ihn fremdgehen lässt. Seine unbändige Neugierde treibt ihn durch die deutsche Theaterlandschaft, überall wo er ankommt und fortgeht, hinterlässt er seine Markierung. Bei vielen löst er eine Neugierde aus. Bei anderen nicht. Ich finde, dass er die Szene mit seinem slawischen Judentum bereichert. Geschwängert von neuen Begegnungen kommen wir immer wieder zusammen.
Analytisch Finzis Arbeit zu erfassen, ist für mich ein unmögliches Unternehmen. Meine Begegnungen mit ihm sind emotionale Erlebnisse. Vieles bleibt auch unter uns. Wir wissen beide, worüber wir schweigen. Manchmal wissen wir auch überhaupt nichts.
Ich versuche aber ein paar Bruchstücke von seiner Arbeit zu fassen. Der Sprung macht die Erfahrung, nicht der Schritt, meint Müller. Der Gaukler Samuel, ein Bündel von Begabungen.
Eine davon: die Geschwindigkeit und die Intensität der Sprünge in die Abgründe, die er erfasst.
Sein Anlauf ist kurz, der freie Fall bringt ihn in Rauschzustände. Mörderische Konsequenz, lustvolles Delirium, eine unerschöpfliche kriminelle Energie. Sein schallendes Gelächter begleitet ihn im Sprung.
Er organisiert bewusst jede Ecke seines Körpers: Gedärme, Gehirnzellen. Unterwegs in den Abgrund reißt er seine Partner mit sich, erbarmungs- und schonungslos. Oft bringt er das ganze Schauspielerrudel zur Raserei. Die Konflikte machen die Begegnungen reicher. Der Theaterraum wird lebendig. Oft reißt er auch egomanisch alles an sich. Seine vermeintliche Unersetzlichkeit ist aber koordinierte Materialsammlung. Die gehobenen Schätze im Arbeitsprozess verteilt er selbstlos an alle. Die Farce ist eines seiner Arbeitsinstrumente. Die meisterhaft gespielten Pirouetten der Figuren, die er in seinem freien Fall erfindet, sind scheinbar selbstverliebte Exzesse.
Vorsicht: Der Gaukler ist eine Intelligenzbestie. Mit Killerinstinkt. Er steuert seinen Fall unausweichlich auf die existentielle Substanz hin: die leise und unerträgliche Wahrheit der Figur, die er erfasst.
Seine Detailarbeit ist ein ungeheuer präziser chirurgischer Vorgang. Jeder Schnitt des Skalpells ist ein gekonnter Eingriff in die Anatomie der Figur, als die er sich selbst auf den Seziertisch gelegt hat. Das Überflüssige wirft er schnell fort. Diese ganze Schufterei vollbringt er mit einer ungewöhnlichen Leichtigkeit. Er begleitet das Ganze mit Musik, die sein Urelement ist.
Für solche Sprünge haben die Spanier das Wort Duende erfunden, die Griechen Katharsis, die Slawen Schemet. Die Juden? (Sollst du selber formulieren.)
Mit Samuel arbeiten heißt, mit ihm zusammen springen. Ich tue es. Das macht glücklich.
P.S.: Samuel bereitet wieder einen Anschlag auf uns vor. Seit kurzem probt er mit seinem Sohn Ezra, unter dem Blick der Mutter Sorrel. Der nächste gemeinsame Anlauf zum Sprung.
Macht's gut!
FINZI
Die digitale Pressemappe (ZIP-Format) beinhaltet:
TdZ_backstage_Finzi.jpg
TdZ_FINZI_Umschlag_.pdf
Vorschau_FINZI.pdf
Sämtliche Inhalte dieser Pressemappe dürfen bei Nennung der Quelle „Verlag Theater der Zeit" honorarfrei verwendet werden.
Kontakt
Paul Tischler / Geschäftsführung
Verlag Theater der Zeit GmbH
Winsstraße 72
10405 Berlin
T +49 (0) 30.4435285-21
F +49 (0) 30.4435285-44
p.tischler@theaterderzeit.de
„„Einer, an dem sich alle werden messen müssen, die noch Messlatten ihr eigen nennen.““Süddeutsche Zeitung
Zum Autor
Michael Eberth
Weitere Beiträge von Michael Eberth
Wie ich an den Sohn der Tochter des Leibarztes von Stanislawski geriet ...
Jenseits der Sprachwelt
Auf der Suche nach einer Sprache der Liebe
Über den Regisseur Jürgen Gosch
Nachruf Annette Reber
Der pure Moment des atmenden Menschen
Zum Tod von Ulrich Zieger
Bibliographie
Beiträge von Michael Eberth finden Sie in folgenden Publikationen:

Heft 09/2015
Fuck off

Heft 05/2014
Für eine kurze, lange Minute
Die Schauspielerin Valery Tscheplanowa

Arbeitsbuch 22
Dimiter Gotscheff
Dunkel das uns blendet
Jeden Monat die wichtigsten Themen bei Theater der Zeit
Newsletter abonnieren