
Neu:Markt
Arbeitsbuch zum Theater Neumarkt Zürich
Herausgegeben von Harald Müller, Rafael Sanchez und Barbara Weber
Paperback mit 224 Seiten, Format: 215 x 285 mm
ISBN 978-3-943881-26-4, Originalpreis: € 18,00
Neumarkt - schon im Namen dieses Theaters ist eine Positionsbestimmung enthalten: Ohne Innovation gibt es keinen Markt und Innovation kann es nur unter permanenter Aufgabe des Altbewährten geben. Permanente Revolution und permanente Selbstaufgabe sind die Triebfedern des Kapitalismus - und der Kunst. Zürich ist eine Gegend im Herzen des Kapitalismus und trotzdem (oder deswegen) sind die Stadt und ihr Kulturleben ein Hort bürgerlicher Behaglichkeit geblieben.
Mit der paradoxen Verortung zwischen Establishment und Rebellion haben sich die Co-Direktoren Barbara Weber und Rafael Sanchez in den letzten fünf Jahren am Theater Neumarkt auseinandergesetzt. In diesem Haus - mit seiner langen Geschichte zuerst als Zunfthaus, dann als Gründungsstätte der kommunistischen Partei der Schweiz und seit 1968 als subventionierte Experimentalbühne der Schweizer Wirtschaftsmetropole - begegneten sich confœderatio helvetica und Hardcore, politisches Theater und Operette, Anna Karenina und Schauprozess. „Neu:Markt" ist keine abschließende Revue, sondern ein letzter Brandbeschleuniger mit Beiträgen von Sibylle Berg, Daniel Binswanger, Carl Hegemann, Simone Meier, Tobi Müller u. a.
Barbara Weber und Rafael Sanchez Foto: Linus Bill
Liebes Publikum: Wir hoffen, dass wir es geschafft haben, Ihr Leben zu bereichern. Oft hört man, mit Theater könne man die Welt nicht verändern. Meistens sagen das sogar die Theaterleute selber. Wir aber finden: doch. Natürlich kann man die Welt verändern. Vielleicht merkt es nur niemand. Theater ist ein wenig wie die Homöopathie, ein Tröpfchen Röseliwasser in einen Heizöltank. Der CO2-Ausstoss bleibt derselbe, man schläft aber eindeutig besser.
Das Grosse am Theater, der grosse Selbstbetrug und die grosse Kunst ist, dass alle wissen, dass alles gelogen ist! Nichts ist ehrlich, ausser eben der Absicht, die Welt zum Guten hin zu verändern. Das ist etwas, was seltsamerweise die meisten mit dem Theater wollen. Noch seltsamer ist, dass man sogar zu wissen meint, was das ist, das Gute.
Theater fürs Establishment haben wir uns genannt. Aus zwei Gründen: Erstens, weil es so ist, und zweitens, weil das Theater Neumarkt tatsächlich ein lange linke Tradition hat. Die Anliegen von früher sind heute jedoch ganz normaler Mainstream, haben sich etabliert und interessieren keinen mehr – obwohl sich nicht unbedingt alles zum Besseren gewendet hat. Wieso geht man nicht mehr so schnell zum Protestieren auf die Strasse? Ist es schlimm, bei H&M einzukaufen, oder schlimmer im Bioladen? Ist man spiessig, wenn man sich fragt, ob Nicht-spiessig-Sein nicht doch spiessig ist? Was kann das Kreative, Freie in der Kunst noch bewirken, wenn doch alle kreativ sind, die Werbung, die Industrie, die Wirtschaft?
Das sind Fragen, wie sie uns in den letzten fünf Jahren interessiert haben. Manche konnten wir beantworten, andere waren wir nicht mal fähig zu formulieren. Eine Sache haben wir aber von Anfang an begriffen:
Wer mit dem Zeigefinger auf andere zeigt, zeigt immer automatisch auch auf sich selbst. Diese Spannung muss man aushalten, diese Tatsache darf man aber nicht als Argument benutzen, um nirgends mehr hinzuzeigen. Nur weil ich gerne Hamburger esse, kann ich trotzdem gegen von Kindern genähte Unterwäsche sein. Um sauber, um korrekt zu bleiben, ist es zu spät. Da bleibt nur noch gute Miene zum bösen Spiel zu machen, oder eben Theater. Was auf dasselbe herauskommt. Unsere letzte Hoffnung ist das gemeinsame Spiel, uns was vormachen, so tun, als wäre noch ein Rest von Zivilisation in uns drin. Aber wie?
Theater, wie wir es verstanden haben und immer noch verstehen, gibt den Leuten etwas zurück. Auf einer elaborierten, intellektuellen, aber auch auf einer sehr direkten, ursprünglichen, ja körperlichen Ebene kann man diese Verbindung fühlen. Eine Verbindung zwischen den Theatermachenden und den Zuschauenden, aber auch zwischen dem Haus und Künstlern, die da arbeiten. Solche Verbindungen lassen sich nicht ohne Weiteres herstellen. So was geht fast nur am Theater. Das ist vielleicht der Grund, wieso man sich als Stadt solche Oasen erhält oder als Künstler immer wieder bereit ist, alles hinter sich zu lassen, wenn man die Möglichkeit erhält, an einem solchen Ort zu arbeiten.
Wir hatten unsere Möglichkeit. Ob wir sie genutzt haben, wissen wir nicht, das dürfen Sie sagen. Wir hoffen es! Wir ziehen jetzt weiter – geben Sie auf Ihre Theaterhäuser acht! Schön weiter giessen, wenn sie mal weg sind, wachsen sie nicht mehr nach.
Liebe ZürcherInnen, wir wünschen Ihnen noch ein schönes Leben, vielleicht sehen wir uns ja hier wieder – oder irgendwo anders.
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Von Weber bis SanchezDirektion und Ensemble 2008 bis 2013 | Seite 4 |
Küchentischrunde Reloadedvon Carl Hegemann, Rafael Sanchez, Barbara Weber und Mike Müller | Seite 22 |
Ein Reaktor im StadtkosmosMit diesem Leporello haben sich Barbara Weber und Rafael Sanchez die Direktion am Neumarkt erbasteltvon Rafael Sanchez und Barbara Weber | Seite 31 |
Das Fähnlein der sieben AufrechtenFassung Theater Neumarkt | Seite 45 |
Spielen bis zum UmfallenProduktionen 2008 bis 2013 | Seite 53 |
Theater?1000 Jahre Hamletvon Carl Hegemann | Seite 94 |
Neumarkt-Rules (2007)Selbstwiderspruch Selbstwiderstand Selbstverschwendung | Seite 98 |
Ein guter Abend (4. Dezember 2009)Blogeintrag, verfasst am Tag nach der Premiere von „Sterben lernen“ am Theater Neumarktvon Christoph Schlingensief | Seite 100 |
Die Krise und die ÖffentlichkeitBilanz einer Gesprächsreihevon Daniel Binswanger | Seite 104 |
Wir spielen nicht – Was tun wir denn dann?Laurent Chétouane im Gespräch mit Sebastian Kirschvon Sebastian Kirsch und Laurent Chétouane | Seite 108 |
Frau und Mannvon Simone Meier | Seite 112 |
Arie für zwei Kastraten & ein Maschinengewehrvon . Petschinka und - Krok | Seite 118 |
Der neue Marktvon Armin Kerber | Seite 120 |
Nur leicht überdehnenBruno Cathomas und Guy Krneta im Gespräch, 14. März 2013, Werdinsel, Zürich, Schweizvon Guy Krneta und Bruno Cathomas | Seite 124 |
Impressum | Seite 124 |
Literatur im Theater?Teppich und Teppich: offen 2008 bis 2013von Ruth Schweikert | Seite 126 |
Maskenfetisch und Echtheitspornovon Tobi Müller | Seite 128 |
Wir wollten ja gar kein Theater seinIm Januar 2013 haben wir das gesamte künstlerische Personal 2008 bis 2013 eingeladen, vor Linus Bills Kamera zu posieren | Seite 134 |
Top belichtetvon Tobias J. Bühlmann | Seite 178 |
Theater Neumarkt 2008 bis 2013 | Seite 192 |
Theater für den FeierabendDas Theater Neumarkt auf Betriebsausflug 2013 | Seite 194 |
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Rafael Sanchez
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