
Recherchen 92
Performing Politics
Politisch Kunst machen nach dem 20. Jahrhundert
Herausgegeben von Nikolaus Müller-Schöll, André Schallenberg und Mayte Zimmermann
Paperback mit 208 Seiten, Format: 140 x 240 mm
ISBN 978-3-942449-36-6
Dieses Buch ist leider vergriffen
Gibt es eine Wiederkehr des Politischen in den Künsten? Und wenn ja, was heißt es heute, ob in Theater, Performance oder Bildender Kunst, politisch Kunst zu machen? Zahlreiche Versuche in den Künsten zeugten im vergangenen Jahrzehnt von einem neuen Interesse an den Fragen nach dem Politischen und der Politik, die nach dem 20. Jahrhundert und seinen Katastrophen übrig geblieben sind, und an politischer Intervention. Sie stehen unter Vorzeichen wie Rückkehr zur Realität, Behauptung eines Gegenpols zur Macht oder neuerliche Beschäftigung mit den Leitmotiven der revolutionären Bewegungen der Vergangenheit. Der vorliegende Band dokumentiert die Ergebnisse der Internationalen Sommerakademie Hamburg 2010, bei der sich Künstler und Theoretiker zur gemeinsamen theoretischen wie praktischen Arbeit darüber versammelten, wie eine kritische Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen gesellschaftlichen Realität aussehen kann.
Mit Beiträgen u. a. von Robin Arthur, der Big Art Group, Astrid Deuber-Mankowsky, André Eiermann, Ulrike Haß, John Jordan, Rudi Laermans, Jean-Luc Nancy, dem Nature Theatre of Oklahoma, Sergej Romashko und Philippe Quesne.
Nikolaus Müller-Schöll ist Professor für Theaterwissenschaft am Institut für Theater-, Film und Medienwissenschaft der Goethe-Universität, Frankfurt am Main.
André Schallenberg leitet das Künstlerische Produktionsbüro der Ruhrtriennale.
Mayte Zimmermann ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Theater-, Film und Medienwissenschaft der Goethe-Universität, Frankfurt am Main.
Wieder politisch Kunst zu machen, das war das erklärte Ziel einer nicht geringen Zahl von Künstlern aller Sparten im vergangenen Jahrzehnt.* Zahlreiche Versuche auf dem Gebiet der Künste am Rande der Institutionen zeugten von einem neuen Interesse an den Fragen, die nach dem 20. Jahrhundert und seinen Katastrophen übrig geblieben sind, an Fragestellungen des Politischen und der Politik und an politischer Intervention. Sie standen unter Vorzeichen wie Rückkehr zur Realität, Behauptung eines Gegenpols zur Macht oder neuerliche Beschäftigung mit den Leitmotiven der revolutionären Bewegungen der Vergangenheit. Wenn dabei in allen Fällen mit der Wiederkehr des Politischen in den Künsten eine radikale Verunsicherung zu beobachten war, was nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts – nach seinen großen Projekten, aber auch nach seinen Katastrophen – überhaupt noch eine angemessene Form des Verhältnisses von Kunst und Politik sein könnte, so korrespondierte dem mit Blick auf einzelne bemerkenswerte Arbeiten die Erkenntnis, dass man heute nur um den Preis der Epigonalität nahtlos an die Formen politischer Kunst anschließen kann, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat.
Diese Verunsicherung wie diese Erkenntnis aufgreifend, luden die Professur für Theaterforschung an der Universität Hamburg, das Internationale Sommerfestival Hamburg und Kampnagel in den Räumen des dort beherbergten Choreographischen Zentrums K3 im Sommer 2010 zur ersten Internationalen Sommerakademie Hamburg unter dem Titel Performing Politics ein. Erklärtes Ziel war, im Verlauf der zehn Tage dauernden Akademie nach Möglichkeiten zu suchen, wie man heute im Sinne der von Jean-Luc Godard vorgeschlagenen Unterscheidung statt politischer Kunst politisch Kunst machen kann. Einerseits sollte diskursiv gemacht werden, was sich im Konzept des Festivals wie in den Arbeiten der eingeladenen Gruppen manifestierte, andererseits die Verbindung zwischen dieser inhärenten Theorie und expliziten Ansätzen von Theorie hergestellt werden, die auf ihrem Gebiet in ähnlicher Weise die kritische Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen gesellschaftlichen Realität versuchen.
Mit Förderung der Körber-Stiftung arbeiteten zehn Tage lang Künstler aus sechs Produktionen des Festivals sowie sieben Theoretiker verschiedener Disziplinen mit 30 angehenden Theatermachern, Performern, Dramaturgen, Schauspielern und Theaterwissenschaftlern aus 14 Nationen. Dabei war die Grundidee der Akademie, durch gemeinsames Forschen, Lernen und Entwickeln von Wissenschaftlern und Künstlern den intensiven Austausch zwischen Theorie und Praxis zu fördern, und diese Arbeit in unterschiedlichen Veranstaltungen und Formaten einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Vorträge und Künstlergespräche standen auf dem öffentlichen Abendprogramm des Festivals, eine intensive gemeinsame Arbeit fand unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit tagsüber in Workshops, Gruppendiskussionen und praktischen Projekten statt. Von dem, was in den zehn Tagen dabei an Erfahrungen gesammelt, an Erkenntnissen vorgestellt und diskutiert und an Arbeiten angestoßen wurde, versucht der vorliegende Band nun einen – gleichwohl zwangsläufig selektiv bleibenden – Eindruck zu geben.
Die Beiträge des Sammelbandes geben in ihrer Zusammenschau vermutlich einen guten Querschnitt durch Ansätze des Denkens und der Diskussion über das Politische und die Politik in den performativen Künsten. Dabei stellt sich – wie angesichts des Charakters der Akademie kaum anders zu erwarten – eher eine von Heterogenität gezeichnete Mind Map als ein einheitliches Bild her. Wie in den Beiträgen zur „Politik (in) der Kunst“ veranschaulicht wird, ist zu einem nicht geringen Anteil das Politische der Kunst nicht nur und manchmal nicht einmal in erster Linie in ihren Themen oder ihren Intentionen zu suchen, sondern zunächst und vor allem in der Art, wie sie gemacht wird, wie in ihr Konflikte ausgetragen oder sogar mit Bedacht produziert werden. Unter dem Titel „Interventionen“ reflektieren verschiedene Künstler und Teilnehmer aktuellste Formen intervenierender, ihrem Anspruch nach offen oder verdeckt subversiver Kunst, in denen große Affinitäten in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Staat und der eigenen Gesellschaft aufscheinen, aber auch entscheidende Unterschiede in Auftrittsformen, Formaten, Selbstdefinitionen wie Inhalten, Zielen und Adressaten. Um „Politiken des Raumes“ geht es dagegen in der dritten Gruppe von Texten, die auf unterschiedliche Weise künstlerische Arbeiten reflektieren, in denen Räume unterschiedlicher Art ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken: Dabei stehen städtische Räume und ihre Belegung und Beherrschung ebenso im Fokus wie mediale oder imaginäre Räume. Eine andere Form des Zusammentreffens von Politik und Kunst steht im Mittelpunkt der Beiträge, die „Politiken (in) der Institution“ behandeln. Sie thematisieren jene Politik, die allgemein im Kuratieren wie auch speziell im Versuch der Verbindung von Theorie und Praxis zutage tritt. Über die Frage, wie heute, Jahrzehnte nach der wirkungsmächtigen Schrift Die Gesellschaft des Spektakels von Guy Debord, das Spektakuläre in den Künsten wie in der Gesellschaft auftritt und inwiefern der Begriff überhaupt noch zeitgemäß ist, wird in den Beiträgen nachgedacht, die unter dem Titel „Jenseits des Spektakels“ versammelt sind. Unter der Überschrift „Ein anderes Subjekt des Politischen“ schließlich werden die Überlegungen, die die Akademie bestimmten, auf weitergehende philosophische wie das Gegenwartstheater bestimmende Fragestellungen bezogen.
Zum Gelingen der Internationalen Sommerakademie 2010. Performing Politics haben zahlreiche Personen und Institutionen beigetragen, denen wir an dieser Stelle sehr herzlich danken möchten: Für ihre großzügige finanzielle Unterstützung, Beratung und Begleitung danken wir der Körber-Stiftung, namentlich Dr. Klaus Wehmeier, Kai-Michael Hartig und Verena Vollertsen. Ein herzlicher Dank auch dem DAAD, der durch Reisestipendien die Teilnahme vieler internationaler Gäste ermöglichte. Für die gute Kooperation sei ganz herzlich der künstlerischen Leiterin der Kampnagel Kulturfabrik, Amelie Deuflhard, dem Leiter des Internationalen Sommerfestivals Hamburg, Matthias von Hartz, sowie seiner künstlerischen Mitarbeiterin Angela Glechner gedankt, mit denen wir produktiv in der Konzeption, Organisation und Leitung der Sommerakademie zusammengearbeitet haben. Kerstin Evert und Matthias Quabbe danken wir sehr herzlich für die Überlassung der Räumlichkeiten des Choreographischen Zentrums K3, Christian Reichel und Hannah Georgi für die mit ruhiger Hand übernommene Produktionsleitung, den Technikern und Mitarbeitern von Kampnagel, den studentischen Mitarbeitern Jasper Finkeldey, Max Gadow, Franziska Schnoor und Lydia White, dem Koch Kolja Mirabichvili sowie den Hospitantinnen Anne Sophie Domenz, Mara Faß, Hannah Kowalski und Lukas Reiche für die engagierte Unterstützung.
Für die tatkräftige Hilfe bei Lektorat und Korrektur des Buches möchten wir uns sehr herzlich bedanken bei Anna Burgdorf, Leon Gabriel, Renate Günther, Julia Schade und Annika Scharm. Nicole Gronemeyer, Harald Müller und Sibyll Wahrig von Theater der Zeit sei für die gute und verständnisvolle Zusammenarbeit bei der Planung, Erstellung und Gestaltung der Publikation gedankt.
Nikolaus Müller-Schöll, André Schallenberg, Mayte Zimmermann
* Der Gebrauch von sowohl männlichen als auch weiblichen Formen in amtlichen Verlautbarungen, Stellenausschreibungen, theoretischen oder journalistischen Texten stellt eine wichtige Errungenschaft dar. Wir verzichten in diesem Band lediglich aus Gründen der Lesbarkeit auf die Verwendung des Binnen-I oder der Unterstrichschreibform.
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Politik (in) der Kunst | |
Prinzip KrisePavol Liska und Kelly Copper (Nature Theater of Oklahoma) im Gespräch mit Nikolaus Müller-Schöll und André Schallenbergvon Nikolaus Müller-Schöll, André Schallenberg und Nature Theater of Oklahoma | Seite 10 |
Scheiternvon Robin Arthur | Seite 21 |
High Hopesvon Jasna Žmak und Reinhard Strobl | Seite 25 |
Das fehlende Volk, die Politik und die Ästhetik der MedienAm Beispiel von Dogville (2003) und The Wire (2002 – 2008)von Astrid Deuber-Mankowsky | Seite 28 |
Der Armut Raum gebenPolitische Themen und das Politikum der Aufführung am Beispiel Robyn Orlinsvon Sebastian Blasius | Seite 41 |
Politik des ZuschauensAnmerkungen zu Meg Stuarts No Longer Readymadevon Rudi Laermans | Seite 43 |
Res Publica – Standard sava bread stuffed with three layers of colored plastervon Ivona Šijakovic | Seite 54 |
Interventionen – Kunst und (subversive) Aktionen | |
Auf der Suche nach dem verlorenen PoliticumOder: Das politische Ereignis im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeitvon Sergej Romashko | Seite 56 |
Empty ZonesPolitiken der Nullifikation im Moskauer Konzeptualismus und ihr Einfluss auf aktuelle politische Aktionskunstvon André Schallenberg | Seite 65 |
Nimm den Spaß zwischen die BeineOder: Wie man nicht so tut, als mache man Politikvon John Jordan | Seite 78 |
Künstlerische Mittel ohne Zweckvon Maximilian Haas | Seite 86 |
Protestvorstellungenvon Mahmoud Shalaby | Seite 88 |
Ein Ausflug in die „Realität“ des politischen Widerstandes?Die partizipative Fahrradintervention FLOOD von Labofiivon Ute Bansemir | Seite 91 |
Konfigurationen – Politiken des Raumes | |
Die Ordnung der (nicht) OrteKampnagel und Kreativwirtschaftvon Jasmin Stommel | Seite 93 |
Fotostreckevon Jasmin Stommel, Ute Bansemir, Ivona Šijakovic, Anne-Friné Steiger, Carolin Christa, Sophia Guttenhöfer, Regina Rossi und Anne-Katherine Münnich | Seite 96 |
Übersehene Räume. Städtische Konfigurationenvon Ulrike Haß | Seite 105 |
Tanzen im Gefüge der InteressenEine Untersuchung von Bewegung im öffentlichen Raumvon - Kollektiv Bauchladen Monopol | Seite 122 |
Überschreitungen – Politiken (in) der Institution | |
Über das Koratieren des Politischen im Theatervon Amelie Deuflhard | Seite 124 |
Das Fehlen einer gemeinsamen SpracheZum Verhältnis von Theorie und Praxis (des Theaters)von Anneka Esch-van Kan | Seite 127 |
Anything GoesEin Einwurf zum Potential der Performing Arts für politische Projektevon Matthias von Hartz | Seite 129 |
Subversion des Festivalgedankens: Realität oder Illusion?von Nina Jan | Seite 134 |
Jenseits des Spektakels | |
Vom postdramatischen Politischen zum postspektakulären Politischenvon André Eiermann | Seite 136 |
Nach dem Spektakulärenvon Big Art Group | Seite 149 |
Bildspektakel und Geschlechtshybridevon Sanna Albjørk | Seite 153 |
Ihre Anwesenheit ist erforderlichÜber das Herstellen von Bildernvon Krystian Lada | Seite 155 |
Ein anderes Subjekt des Politischen | |
Theaterkörpervon Jean-Luc Nancy | Seite 158 |
Von der ontologischen Differenz zum TheaterEin Kommentar zum Beitrag von Jean-Luc Nancyvon Marita Tatari | Seite 172 |
Das herausgeforderte SubjektNotizen zu deufert&plischkes Anarchiv#2: second handvon Mayte Zimmermann | Seite 176 |
Subversion des Namens, Erscheinen des SubjektsZur Frage des Politischen im zeitgenössischen Tanzvon Jurga Imbrasaite | Seite 186 |
Der „Chor der Komödie“Zur Wiederkehr des Harlekins im Theater der Gegenwartvon Nikolaus Müller-Schöll | Seite 189 |
Autorinnen und Autoren |
Performing Politics
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