
Heft 01/1983
Heiner Müllers »Macbeth«-Adaption in der Diskussion
Broschur mit 80 Seiten, Format: 200 x 290 mm
ISSN 0040-5418
I: Heiner Müllers »Macbeth«-Adaption, 1972 in TdZ abgedruckt und in Brandenburg uraufgeführt, löste heftige Debatten aus, weil das Stück vor allem an der Vorlage Shakespeares gemessen wurde. Jochen Ziller: »Bei Müllers >Macbeth< setzt die Kritik sich nicht mit Müllers Werk auseinander, sondern mit Shakespeare. Dem Dramatiker wird vorgeworfen, er wäre inhuman. Person und Werk werden in einen Topf geworfen. Gesicherte Erkenntnisse über die revolutionäre Änderung einer Klassengesellschaft werden plötzlich zugunsten einer allgemeinen Humanisierungsidee aufgegeben.« (TdZ 9/72). Heiner Müller: »... der alberne Streit um Macbeth. Die Dummheit, eine Kette von Situationen als Wunschzettel des Autors zu lesen. Ein Text lebt aus dem Widerspruch von Intention und Material, Autor und Wirklichkeit ...« (Ein Brief, TdZ 8/75)
Wolfgang Heise stellte damals fest, Müllers Bearbeitung, die den Unterdrückern die neue soziale Dimension der Unterdrückten zufügte, habe zum Gegenstand »nicht die Tyrannei eines Tyrannen, sondern (den) Sozialzustand, der ja nicht außer den Individuen ist, sondern Resultat und Bedingung ihres Verhaltens, des äußeren wie inneren, ... als Zustand asozialer In-humanität, angetaner und erlittener Gewalt«, und er resümiert, Müller schrieb »kein historisches, sondern ein geschichtsphilosophisches Stück«. (TdZ 9/72)
II: Zehn Jahre später, als Müller daran geht, den Text durch Übernahme der Regie (gemeinsam mit Ginka Tscholakowa) neu zu überprüfen, scheint ihm das damals Erreichte nicht mehr zu genügen. Die Bearbeitung hatte, auf einen etwas vereinfachten Nenner gebracht, die Tragödie Shakespeares den Königsdramen angenähert, statt des Alptraums der Macht stärker die Mechanismen der Macht hervorgekehrt; die damals getroffenen Entscheidungen differenzierend, scheint Müller heute stärker daran interessiert, den Alptraum der Macht als individuelle Erfahrung (des Helden) durch die kollektive Erfahrung (der Zuschauer) überprüfen zu lassen. Zehn Jahre nach der Niederschrift des Textes brennt die Welt an vielen Ecken, geschehen vor den Augen der Welt die Massaker in Beirut, ist die Menschheit vom Wahnsinn atomarer Hochrüstung bedroht. Der Grundwiderspruch in der Welt von heute ist nicht mehr auf ein mechanisches, sozial determiniertes Oben und Unten zu reduzieren, ist die Bedrohung der Welt global. ist jeder betroffen, kann sich keiner aus den Kämpfen der Zeit heraushalten.
III. Über zuverlässige Informationen vom heutigen Weltzustand verfügen wir, Aufklärung über Ursachen und die Verursacher von Krisenerscheinungen in der Welt erfolgt zuverlässig in den Medien - Theater kann das nicht ersetzen. Wenn ein Beitrag des Theaters zur Verhinderung von Katastrophen in der Darstellung der Katastrophen liegt - so meint offenbar Heiner Müller -, so kann die Darstellung von Greueln der Geschichte die fortdauernde Gefahr verdeutlichen, dem drohenden Vergessen entreißen, durch die sinnliche Kraft des Theaters im Zuschauer Abwehrkräfte mobilisieren. Negation der Negation - Mut schaffen nicht durch Darstellung von Harmonie, sondern Entlarvung von Disharmonie.
IV: Zehn Jahre politischer und künstlerischer Erfahrung des Autors, in andere Werke eingeflossen (Auftrag), machen den »Clinch« des Autor-Regisseurs mit seinem Text (den Müller, zwei Striche und zwei winzige Zusätze nicht gerechnet, nicht verändert) erklärlich; die Inszenierung als ein Ringen um Veranschaulichung des Alptraums in theatralischen Zeichen und Bildern, als ein permanenter Prozeß der Auseinandersetzung, der das Publikum die Schwere des Prozesses spüren, es daran teilhaben läßt - und der mit dem Ergebnis der Premiere nicht als abgeschlossen gelten kann.
V: Über Haltung und Absicht der Inszenierung (wie über Müllers Theaterkonzeption) erzählt viel das Bühnenbild (Hans-Joachim Schlieker). Ein quadratischer Hinterhof (Viktorianisch/Gründerzeit) mit abbröckelnder Fassade, zerschlagenen Fenstern, Tordurchfahrten und Kellereingängen, ein dickes Kabel schlingt sich wie eine Girlande. Eine Klopfstange mit Teppich, zwei hochgestellte Federböden bilden eine Art Raum im Raum, ein Polstermöbel billiger Konfektion markiert Thron und Mittelpunkt des »Heims« von Macbeth. Eine beschädigte Schaufensterpuppe (weiblich) wird später gegen eine andere (männlich) umgetauscht. Bei Bedarf fährt ein Gehäuse aus dem Boden (der Fahrstuhl aus dem »Auftrag«), das Telefonzelle, Todeszelle, Umkleidekabine sein kann - Raum und Zeit »durchstoßend«. Spiegelwände im Orchestergraben - der »Urgrund«, aus dem die Hexen steigen - , Spiegelwände auch an den Seiten vorn; für Selbstgespräche, fiktive Gefechte, können hochgezogen werden, aber auch ein eigenes Spiegel-Kabinett bilden (in dem am
Schluß die drei Hexen mit den drei Macbeth' den Todes-Tango tanzen). - Zeit- und stilloser Eklektizismus in ein Bild gebracht von starker ästhetischer Faszination, bedeutend - Welt, wenn wir Theater zu verstehen bereit sind als (ein) Bild von der Welt, aber auch als Bild der Innenwelt der Helden, Traum-, Alptraum-Welt, Welt ihrer Ängste und Zwangsvorstellungen. Wenn Theater nicht schlechtweg Wirklichkeit schafft, sondern eine besondere, eigene Kunst-Wirklichkeit, meint Müller, hebt sich die Antinomie Ab-Bild oder Sinn-Bild auf im Rezeptionsprozeß, in der schöpferischen, mitproduzierenden Phantasie eines sich dem Angebot des Theaters stellenden, aufgeschlossenen Zuschauers [...].
Aus Martin Linzer: Müllers »Macbeth«. 11 Punkte zu Stück und Aufführung, S. 12-14 (hier S. 12-13).
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Umschau | |
Eduard-von-Winterstein-Theater AnnabergDer Tolpatsch von Molière. Regie: Michael Jurgons, Ausstattung: Tilman Averdungvon Horst Philipp | Seite 1 |
Kleist-Theater Frankfurt (Oder)Sinfonie in Es-Dur von Mozart; Der Dreispitz von de Falla. Choreographie: Dieter Klimaszyk, musikalische Leitung: Volker Erben a. G., Ausstattung: Karl-Heinz Baumgärtel / Romi Wallat a. G.von Volkmar Draeger | Seite 1 |
Städtische Theater Karl-Marx-StadtAus einem Totenhaus von Leos Janáček. Regie: Carl Riha, musikalische Leitung: Alexander von Brück, Ausstattung: Wolfgang Bellachvon Wolfgang Lange | Seite 2 |
Staatstheater KasselVincent von Rainer Kunad. Regie: Tobias Richter, musikalische Leitung: Jeanpierre Faber, Ausstattung: Markus Lüpertzvon Andreas Schneidewind | Seite 2 |
Theaterpolitik | Seite 3 |
Erfordernisse und neue BedingungenZu den gegenwärtigen Aufgaben unserer Theaterkunstvon Martin Meyer | |
Kolumne | Seite 4 |
Schaffensbündnis von Wissenschaftlern und Künstlernvon Werner Scheler | |
Inszenierungen | Seite 6 |
Frankfurter AbendZu zwei Aufführungen des Kleist-Theaters Frankfurt (Oder)von Jochen Gleiß | |
Uraufführung | |
Politisches ZwiegesprächHelmut Baierls »Leo und Rosa«, uraufgeführt am Berliner TiPvon Manfred Nössig | Seite 8 |
Alltagsmärchen»Sauwetterwind« von Albert Wendt am Theater der Jungen Welt Leipzig uraufgeführtvon Gottfried Fischborn | Seite 10 |
Heiner Müller | |
»Macbeth« in der DiskussionRundtischgespräch über die Heiner Müller-Inszenierung an der Volksbühne Berlinvon Hartwig Albiro, Christoph Funke, Peter Ullrich, Ernst Schumacher, Hans-Rainer John, Klaus Pfützner, Wolfgang Heinz und Fritz Rödel | Seite 11 |
Müllers »Macbeth«11 Punkte zu Stück und Aufführungvon Martin Linzer | Seite 12 |
Inszenierungen | Seite 20 |
Auf »Ebene 82«?»Kleinbürger« von Maxim Gorki in Berlin und Karl-Marx-Stadtvon Martin Linzer | |
Sowjetunion | Seite 22 |
Sowjetdramatik: poetisch - unterhaltsam - dokumentarischAufführungen zum 65. Jahrestag der Oktober-Revolutionvon Helmar Schramm und Volker Trauth | |
Bühnenbild | Seite 24 |
Bilder einer Ausstellung»Szenografie« auf der IX. Kunstausstellung in Dresdenvon Ingeborg Pietzsch | |
Goethe | Seite 26 |
Mit Dringlichkeit mahnendGoethes »Götz« am Landestheater Hallevon Erika Stephan | |
Schiller | Seite 27 |
In Tyrannos?Gedanken zu »Die Räuber« nach der Studentenaufführung in Lauchstädt und im Fernsehen der DDRvon Hans-Rainer John | |
Porträt | Seite 29 |
Dieter FrankeFragmentarische Erinnerungen für das noch nicht geschriebene Porträt eines Schauspielersvon Alexander Weigel und Ingeborg Pietzsch | |
Niederlande | |
Vielfältiges NebeneinanderTheater in den Niederlandenvon Hans-Rainer John | Seite 33 |
Niederländischer Wolkenbruchvon Joachim Maaß | Seite 37 |
ČSSR | |
Ballett in Bratislava»Der Glöckner von Notre Dame« (Jarre) und »Spartakus« (Chatschaturjan) am Slowakischen Nationaltheatervon Dietmar Fritzsche | Seite 38 |
Gespräch mit Karol Töth(Aufgezeichnet von Dietmar Fritzsche)von Dietmar Fritzsche und Karol Tóth | Seite 40 |
Ballett | Seite 41 |
Gewinn fürs Ballett-RepertoireDDR-Erstaufführung von Lullys »Le Triomphe de l'Amour« in Rostock, Uraufführung des Ballettmärchens »Die kleine Zauberin« (Weindich / Nellessen / Dallmann) in Neustrelitzvon Karin Schmidt-Feister | |
Theatergeschichte | Seite 43 |
Nicht nur die Bücher branntenAnläßlich des 50. Jahrestages der Uraufführung von Kaiser / Weills »Der Silbersee«von Jürgen Schebera | |
Erstaufführung | Seite 46 |
Märchen gegen GewaltDDR-Erstaufführung der Oper »Mindija« von Otar Taktakischwili / Rewas Tabukaschwili in Meiningenvon Michael Berg | |
Oper | Seite 50 |
OpernpraxisIX. Der Regisseurvon Ernst Krause | |
Dirigenten im Gespräch | Seite 52 |
Dietmar Fritzsche im Gespräch mit Robert Hanellvon Dietmar Fritzsche und Robert Hanell | |
Uraufführung | Seite 53 |
Konträres»Babettes grüner Schmetterling« von Robert Hanell / Klaus Eidam am DNT Weimar sowie in Halberstadt uraufgeführtvon Dietmar Fritzsche | |
Stückabdruck | Seite 56 |
Babettes grüner SchmetterlingSingspiel-Burleske von Robert Hanell, Buch (nach einer Vorlage Robert Hanells) von Klaus Eidamvon Klaus Eidam und Robert Hanell | |
TdZ-Informativ | Seite 73 |
Bilanz und nächste SchritteVorstand des Theaterverbandes zusammengetretenvon Hans-Rainer John | |
Inland | |
Streitgespräch über »Macbeth«von Peter Ullrich | Seite 74 |
Seminar für Kindertheaterregisseurevon W. W. | Seite 74 |
Aktivitäten der ASSITEJvon Ingeborg Pietzsch | Seite 74 |
Erweiterung der Palucca Schulevon Dietmar Fritzsche | Seite 75 |
Tanzpodiumvon Dietmar Fritzsche | Seite 75 |
Personelles | Seite 75 |
Ausland | Seite 76 |
Neues aus Frankreichvon Claudio Guidi | |
Inland | Seite 76 |
Eislebener Weiterbildungvon br | |
Unterwegs | Seite 76 |
Ausland | |
6. Puppentheaterfestival in Pécsvon Karl-Heinz Klimt | Seite 77 |
Ausschnitte | |
Kulturelle Identitätskrise?von | Seite 77 |
Veronas »Arena«von Helga Radmann | Seite 78 |
Bücher | |
Peter Reichel: DDR-Dramatik 1980-1982. Stoffe - Konflikte - Positionen. Schriftenreihe »Material zum Theater«, Heft 162hgg. vom Verband der Theaterschaffenden, Berlin 1982, 80 S., 3,- Mvon Hans-Rainer John | Seite 78 |
Armin Stolper: Poesie trägt einen weiten MantelHenschelverlag Berlin 1982, Reihe dialog, 186 S., 4,- Mvon Hans-Rainer John | Seite 78 |
Österreichische DramenVerlag Volk und Welt Berlin 1982, 616 Seiten, 15,- Mvon Martin Linzer | Seite 79 |
GarderobengesprächeHenschelverlag Berlin 1982. Reihe dialog, 215 S., 6,- Mvon Dieter Kranz | Seite 79 |
Probleme der Entwicklung und der gegenwärtigen Situation des arabisch-irakischen Theaters. Schriftenreihe »Material zum Theater«, Heft 165hgg. vom Verband der Theaterschaffenden, Berlin 1982, ca. 130 S., 6,- Mvon Ingeborg Pietzsch | Seite 79 |
Berichtigung | Seite 79 |
Ur- und Erstaufführungen | Seite 80 |
Ur- und Erstaufführungen der Bühnen der DDR. Spieljahr 1982 | |
Spielpläne | Seite 81 |
Vom 16. Januar bis 15. Februar 1983 | |
Premierenkalender | Seite 83 |
Vom 16. Januar bis 15. Februar 1983 | |
Besetzungen | Seite 83 |
Ur- und Erstaufführungen / Schauspiel / Musiktheater | |
Autoren | Seite 85 |
Impressum | Seite 85 |
Inhalt | Seite 88 |
Jahresinhaltsverzeichnis | Seite 89 |
1982 |
Hartwig Albiro
Michael Berg
br
Volkmar Draeger
Klaus Eidam
Gottfried Fischborn
Dietmar Fritzsche
Christoph Funke
Jochen Gleiß
Claudio Guidi
Robert Hanell
Wolfgang Heinz
Hans-Rainer John
Karl-Heinz Klimt
Dieter Kranz
Ernst Krause
Wolfgang Lange
Martin Linzer
Joachim Maaß
Martin Meyer
Manfred Nössig
Klaus Pfützner
Horst Philipp
Ingeborg Pietzsch
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