Festivals
Kurzstreckenlauf
Die Wiener Festwochen haben schon wieder den Intendanten gewechselt. Ist Christophe Slagmuylder der nächste Lückenbüßer? Ein Kommentar

Noch schneller geht’s wirklich nicht. Zwei Tage nach Ende der diesjährigen Wiener Festwochen war deren Intendant Tomas Zierhofer-Kin seinen Job schon los. Offiziell wurde eine einvernehmliche Trennung verlautbart, aber auf den Social-Media-Kanälen schlug Zierhofer-Kin andere Töne an. Nur weitere fünf Tage später stand auch der Nachfolger schon auf der Matte: Christophe Slagmuylder. Wer da nicht jeden Tag seine Newsletter kontrolliert hatte, konnte durchaus verwirrt sein. War Zierhofer-Kin nicht erst im Vorjahr angetreten? Und war er nicht eigentlich auf fünf Jahre bestellt?
Allerdings! Nur hatte seine Einstandsausgabe Publikum, Kritiker und Politiker nachhaltig in Angst und Schrecken versetzt. Das Jahr 2017 ging als eines der eruptivsten in die Festivalgeschichte ein. Der radikale Schwenk hin zu einem Kunstfestival, in dem das Theater inmitten von Installationen, Performances und Diskursformaten zu einer Fußnote verkam, hat viele vergrault. Und leider zu wenig neues Publikum erschlossen. Hinzu kamen ein hermetisch formuliertes Programmheft sowie organisatorische Fauxpas. Der Intendant musste Fehler eingestehen und versprach Verbesserungen fürs zweite Jahr.
Und so war heuer der Wiedererkennungswert der Festwochen hoch. Christoph Marthaler war da, It-Regisseure wie Susanne Kennedy und Ersan Mondtag gaben ihre Österreich-Debüts. Doch scheinbar sitzt der Schock aus dem Vorjahr allen Verantwortlichen so tief in den Knochen, dass das Vertrauen für die Zukunft fehlt. Dabei geht es nicht nur um das Vertrauen in die Person Zierhofer-Kins, der als Musikexperte ohnehin eine mutige Wahl war, sondern auch um mangelndes Vertrauen in den eingeschlagenen neuen Weg. Dieser wurde etwas hilflos als „Underground“ abgetan und meint nichts anderes als die Elimination großformatiger Bühnenwerke zugunsten kleinerer Formate, oft im Kontext der Clubkultur. Das hat viele Festwochenbesucher nachhaltig irritiert.
Dabei hätte Zierhofer-Kin für 2019 und die Folgejahre vielversprechende Künstler in Aussicht gestellt. Ein Projekt mit Marina Abramović war in Planung, ein weiteres mit dem US-Künstler Paul McCarthy. Auch standen Vegard Vinge und Ida Müller auf der Wunschliste des Schonwieder-nicht-mehr-Intendanten. Spannende Positionen, die vorerst vom Tisch sind. Hier wird aber keiner bestimmten Form von Kunst der Riegel vorgeschoben. Vielmehr ist Zierhofer-Kins Festivalverständnis den Verantwortlichen zu kleinteilig, zu partybezogen und vor allem eines: zu wenig theateraffin. Und das meint nicht zwingend klassisches Literaturtheater. Doch die Festwochen sollten sich im Kontext einer Stadt, die mit ImPuls Tanz das größte Tanzfestival Europas beherbergt (und in einem Land, das mit Salzburg und Bregenz zwei große Opernfestivals hat), ihren Theaterfokus bewahren.
Zierhofer-Kin ist für eine neue Ausrichtung angetreten: Publikumsverjüngung, Publikumsverbreiterung, weniger Theater, mehr Performance, weniger Hochkultur, mehr Clubkultur. Dabei ist der Unterschied zum designierten Nachfolger Christophe Slagmuylder, der seit 2007 dem Kunstenfestivaldesarts in Brüssel vorsteht, vermutlich gar nicht so groß. Einige Produktionen haben sich die beiden Intendanten heuer sogar geteilt, sie waren sowohl in Brüssel also auch in Wien zu sehen. Aber: Slagmuylder ist erfahrener, und er weiß, dass man bei einem Festival dieser Größe (12,5 Millionen Euro Etat) die breite Publikumsmitte nicht vor den Kopf stoßen kann.
Detail am Rande: Die rasche Ablöse Zierhofer-Kins geht mit einem Personalwechsel in der Wiener Stadtregierung einher, der Hauptsubventionsgeberin. Seit April amtiert als Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, eine gelernte Dramaturgin und bis letzten Oktober selbst noch Leiterin eines Festivals (steirischer herbst). Pikant ist, dass Kaup-Hasler einst Mitbewerberin um den Festwochen-Job war und nun dem ihr damals vorgezogenen Kandidaten als politische Entscheidungsträgerin gegenübersitzt. Ihr Hereinschneien auf die politische Bühne schien der geeignete Moment zu sein, dem glücklosen Intendanten den frühzeitigen Abgang nahezulegen.
Nach so vielen Kurzzeitchefs – Superintendanten: Markus Hinterhäuser (zwei Jahre), Zierhofer-Kin (zwei Jahre); Schauspielchef/-innen: Frie Leysen (ein Jahr), Stefan Schmidtke (ein Jahr), Marina Davydova (ein Jahr) – täte den Festwochen jedenfalls eine Phase gut, in der ohne personelle Zeitbomben an einer behutsamen Neupositionierung gearbeitet werden kann. Slagmuylder ist vorerst wieder nur für ein Interimsjahr bestellt. Doch wird der Spitzenkurator nicht nach Wien kommen, um hier den nächsten Lückenbüßer zu geben. Dafür ließ er seinen Leitungsposten bei Theater der Welt 2020 gewiss nicht sausen. Auch Kaup-Hasler würde ein längerfristiges Engagement begrüßen. Das alles zusammen lässt die Anfang Juli erfolgte offizielle Ausschreibung für die Wiener Festwochen 2020 ff. indes einigermaßen obsolet erscheinen. //