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Die Situierung des Betrachters
Beim PAP-Branchentreff im Theaterdiscounter Berlin diskutieren die freien darstellenden Künste den schillernden Begriff der Qualität
„Die Unterscheidung in gute und schlechte Kunst nützt zunächst denjenigen, die diese Unterscheidung machen. Wohl aber nicht der Kunst, den Kunstschaffenden, ihrem Publikum und nicht der Geschichte der Kunst selbst.“ Ein Statement, das der Performer Tucké Royale in seinem Vortrag „Über Theater urteilen!? – Historische und aktuelle Bestimmungen eines Qualitätsbegriffes in den darstellenden Künsten“ formuliert. Qualität, das ist natürlich ein weites Feld. Und ein schwer umkämpftes Wort, weil es ideologisch aufgeladen und je nach Verwendung Hülse oder Geschoss sein kann. Weil es allzu schnell zusammengedacht wird mit Daumenhoch-, Daumen-runter-Meinungen, die nichts und niemanden erhellen.

Umso erfreulicher, dass sich das Performing Arts Programm (PAP) auf seinem mittlerweile sechsten Branchentreff der Diskussion darüber stellt, welche Konsequenzen mit dem Richten über die Arbeiten der freien Szene verbunden sind. Welche Zugänge damit geöffnet oder versperrt werden, wer sich überhaupt zur Instanz erklären kann. „Urteil, Macht, Teilhabe“ lautet entsprechend die Überschrift dieser Ausgabe, die Christina Zintl als Leiterin verantwortet. Das Programm zeigt vor allem zweierlei: Nach Jahren, in denen die Diskurse der freien Szene dominiert waren von der Forderung nach mehr Förderung, ist monetär mittlerweile so viel erreicht worden, dass nun eine Besinnung auf grundsätzlichere Fragen stattfinden kann. Wobei diese Debatte um Offenheit, (Selbst-)Bestimmung und Bewertung, das ist der zweite Punkt, noch ganz am Anfang steht.
Eindrücklich verdeutlicht das etwa die Regisseurin Anta Helena Recke am Eröffnungsabend. Recke, mit ihrer „Schwarzkopie“ der Inszenierung „Mittelreich“ (nach Anna-Sophie Mahler) an den Münchner Kammerspielen im vergangenen Jahr zum Berliner Theatertreffen eingeladen, gibt einen kurzen Einblick in die Rezeption ihrer bemerkenswerten Version von Appropriation Art, etwa wie sich rassistische Zuschreibungen schon in Überschriften spiegelten, à la „Schwarz sein allein reicht nicht“.
Darüber hinaus liegt ein Fokus des PAP-Branchentreffs auf der Frage nach Gender-spezifischen Belangen, unter anderem: Werden Arbeiten von Frauen anders gesehen und bewertet als die von Männern? Erörtert wird das auf dem Panel „Urteil und Gender“, das nach einem Vortrag über die Konstruktion von Geschlechteridentitäten der Soziologin Sabine Hark durchaus auch in Gefilde der freien Szene führt. Die gern als radikal gelabelte Wiener Performerin Florentina Holzinger etwa („Kein Applaus für Scheiße“) berichtet über Arbeiten, in denen sie nackte Frauen auf der Bühne defäkieren lässt, um sexistische Projektionen zu unterlaufen. Mit dem Nebeneffekt, dass sie im Publikum eine „Firewall“ einziehen muss – das heißt, sie lässt in jeder Vorstellung Freunde und Bekannte in den ersten Sitzreihen Platz nehmen, um so eine Fetisch-Fraktion aus den vorderen Reihen zu verbannen, die sie phänotypisch als „ältere Männer in Lederjacken“ beschreibt, welche mit eher unreflektierter Schaulust kämen.