
Auch wenn momentan niemand weiß, wohin die sich aus der ökologischen Misere entwickelnden Turbulenzen führen, implizieren sie unabweisbar Fragen nach den Maximen der Lebensführung. Gesamtgesellschaftlich nehmen die Spannungen zwischen jenen, die sich mit künftigen Generationen bzw. gegenüber ihren Kindern und Kindeskindern solidarisch zeigen und ihren um das Prinzip Ego zentrierten Kontrahenten, die demonstrativ auf das Klima und die Verknappung der Ressourcen pfeifen, stetig zu. Zweifellos ist die Kollision des neoliberalen Menschenbilds mit dem Prinzip Verantwortung, verkörpert von jenen Teilen des sozialen Gefüges, die eine Einstellung des „Kriegs gegen die Zukunft“ (Philipp Blom) fordern, bühnentauglich. Nur werden Kämpfe, insbesondere wenn ihnen eine immense geschichtliche Schubkraft innewohnt, nicht auf dem Feld der Moral entschieden. Sie enden in der Regel auch nicht mit dem Sieg der Einsichtigen, wie bereits Henrik Ibsen mit „Der Volksfeind“ (1882) exemplarisch demonstrierte.
Seither hat sich wenig geändert. Noch immer kommen die Profite und die ökonomische Macht denjenigen zugute, die im Namen der Produktivität die (planetarischen) Rahmenbedingungen ausblenden. Noch immer rechnet sich ein derartiges Vorgehen, auch wenn es langfristig derart kostenintensive Nebeneffekte zeitigt, dass die Verluste die Gewinne schließlich um ein Vielfaches übertreffen. Bislang hat sich das Kapitalozän als äußerst kreativ erwiesen, wenn es galt, seine finstersten Schattenseiten durch zeitliche und räumliche Verlagerungen zu exterritorialisieren. Aktuell verfolgt das globale Publikum noch mehr als weniger entspannt, ob es den Konzern- und Staatenlenkern und ihren ‚erfinderischen Zwergen‘ (Brecht) noch rechtzeitig gelingen wird, den fossilen Pferdefuß abzustreifen, ehe die Erderwärmung die arktischen Pole abschmilzt. Ein ungebremster Anstieg des Meeresspiegels löst eine Migrationswelle von Küstenbewohner ins Landesinnere aus, auf den ein irreversibler Abfall des Bruttosozialprodukts folgt. Angesichts sich stapelnder Konsumartikel verpuffen die moralischen Apelle und kommen kaum über die ohnmächtige Bitte der „Johanna der Schlachthöfe“ (1931) hinaus, das Kapital möge seine eigene Logik korrigieren. Dem Stückeschreiber zufolge besitzen symbolische Gesten sogar verdeckenden Charakter. Wenn vorbildliche Theatermacher eine CO2-reduzierte Kunstausübung propagieren, wird damit suggeriert, dass es nicht um Gesetze sowie internationale Abkommen geht, sondern um individuelles Verhalten. Was nur begrenzt der Fall ist, wenn selbst regionale Umstrukturierungen nicht ausreichen, den Klimawandel an den nationalen oder kontinentalen Grenzen zu stoppen. Evident handelt es sich um ein globales Problem. Enorm schwierig gestaltet sich in diesem Kontext, dass keine verbindliche Definition von Klimagerechtigkeit existiert. Haben zum Beispiel diejenigen Staaten, die über Jahrzehnte die Speicher der Atmosphäre füllten, das Recht, diese Aktivität zu annullieren, obwohl signifikant ist, dass Emissionen etwa 120 Jahre in der Atmosphäre bleiben und der Westen die ihm zustehenden Kapazitäten im Gegensatz zu China und Indien bereits überdehnt hat?
Das Beispiel zeigt zudem, dass das anthropozäne auch immer ein wissenschaftliches Theater sein muss. Ganz gleich, an wen es sich wendet, ob an Verbraucher, Bürger, menschliche oder nicht-menschliche Erdbewohner, sein Diskurs fragt, wie sich das Verhältnis des Sozialen zum planetarischen Habitat gestalten lässt, sind Expertisen, Satellitenprogramme und Simulationen unabdingbar, um auszuloten, welche Regeln im Miteinander gelten sollen oder können. Derartige Spielräume und Optionen sind ohne die Erdsystemwissenschaften weder beschreib- noch als Kausalzusammenhang erfassbar.