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Abschied
Zum Tod von Peter Radtke – Schauspieler und Aktivist avant la lettre
von Gerd Hartmann
„Brigitte Bardot wurde nicht wegen ihrer Intelligenz besetzt, sondern wegen anderer Qualitäten. Und auch ich werde nicht besetzt, weil ich ein netter Kerl bin, sondern wegen meiner Körperlichkeit. Damit muss ich leben.“ Klingt in Zeiten hoher Sprachsensibilität ein bisschen anrüchig. Aber die Aussage stammt von Peter Radtke. 1943 mit Glasknochenkrankheit geboren, Schauspieler, Regisseur, Autor, Rollstuhlfahrer, Aktivist zu Zeiten, als es das Wort noch gar nicht gab. Da kriegen die Sätze eine andere Dimension. 1995 diktierte er sie mir in den Block. Ich habe sie später oft zitiert – als Theatermacher beim inklusiven Berliner Theater Thikwa, wenn Publikumsdiskussionen mal wieder in mitfühlend nivellierende Großumarmungen mündeten mit dem Tenor, dass wir doch alle ein bisschen behindert seien.
Peter Radtke war nicht provokativ, er war klar. Was manchmal dasselbe sein kann. Er lebte Selbstbestimmung vor, als Menschen mit Behinderung außerhalb der TV-Lotterieshows der „Aktion Sorgenkind“ (so hieß die „Aktion Mensch“ noch bis ins Jahr 2000) im öffentlichen Leben nicht vorkamen. Nicht als ernst zu nehmende Diskurspartner und noch viel weniger als Künstlerinnen und Künstler. Peter Radtke hat beides geändert. Kämpferisch und beharrlich. Er studierte Romanistik und Germanistik, beileibe keine Selbstverständlichkeit für einen schwerbehinderten Menschen in den 1970ern. Immer unterstützt von seinen Eltern – der Vater Schauspieler, die Mutter Krankenschwester. Das hat er immer…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 1/2021

Gespräch
von Michel Brandt und Elisabeth Maier
Herr Brandt, erst kürzlich wurde entschieden, dass der Generalintendant des Staatstheaters Karlsruhe, Peter Spuhler, im Herbst 2021 sein Amt aufgeben soll. Die Konflikte mit ihm schwelen seit Langem. 2015 gab es bereits eine Mediation. Sie selbst waren als Schauspieler seit 2014 im Personalrat. Gab es denn keine Möglichkeit, die für die Künstlerinnen und Künstler so schwierige Situation früher gemeinsam mit dem Intendanten zu lösen oder, wie nun geschehen, durch einen öffentlichen Protest zu beenden?
Es hätte Möglichkeiten gegeben, wesentlich früher einzugreifen. Das Problem ist, dass wir beim Verwaltungsrat immer auf taube Ohren gestoßen sind. Bis zum Schluss gab es für Peter Spuhler eine große politische Rückendeckung. Zunehmend hat sich am Haus Verzweiflung breitgemacht, weil sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht gehört fühlten – und weil auch der Protest, den es ja 2015 schon gab, im Sande verlaufen ist. Die Vereinbarung, die man damals über eine Mediation traf, hat gar nichts an der Situation der Beschäftigten geändert. Umso erstaunlicher ist es, dass Karlsruhes Oberbürgermeister Frank Mentrup bis jetzt behauptet, er habe von den Vorwürfen nichts gewusst. Das ist falsch. Als er 2016 bei uns im Personalrat zu Gast war, haben wir ihm die Lage sehr deutlich geschildert. Wir haben sogar Stundenzettel vorgelegt. Deshalb wurde die Verzweiflung am Haus immer größer. Der Verwaltungsrat hat alles gedeckt, da gab es keinerlei kritische Stimmen.
Noch in diesem…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 1/2021

Look Out
Die Regisseurin Anna-Elisabeth Frick möchte sich nie allzu sicher sein
von Bodo Blitz
Optimismus strahlt die Regisseurin aus, Offenheit und Freude. Wer länger mit ihr spricht, kann sich leicht vorstellen, wie gern Schauspielerinnen und Schauspieler mit ihr arbeiten. Denn Anna-Elisabeth Frick räumt ihrem Ensemble jede Menge Freiheiten ein. Das funktioniert auch deshalb, weil Texte für sie nicht absolut gelten. „Den Text?“, fragt Anna Frick schelmisch, um nach einer kurzen Denkpause selbst zu antworten: „Ja, den gibt es auch.
Frick feiert das Fragmentarische. Von „Gerüst“ ist bei ihr häufig die Rede, von „Assoziationen“ und „Atmosphäre“. All das unterstreicht ihre Denkbewegung des Hinterfragens und Suchens. Jede der zwölf Vigilien aus E. T. A. Hoffmanns Novelle „Der goldne Topf“ bricht sie in ihrer Freiburger Inszenierung aus der Spielzeit 2017/18 auf je einen zentralen Grundgedanken herunter. Das eröffnet dem Ensemble Raum zur Improvisation. Hoffmanns Protagonist stürzt selbstredend nicht mitten hinein in einen Marktstand, wie in der Eingangsnarration des Kunstmärchens vorgesehen. Anselmus’ Tollpatschigkeit transportiert sich in Fricks Regie so schlicht wie spielerisch über einen verspäteten Theaterauftritt, von den Schauspielkollegen lustvoll ausgestellt und entsprechend negativ kommentiert. Das schärft den Blick auf die Rolle des Außenseiters.
Fricks Inszenierungen bestechen durch Abstraktion. Sie spüren Grundlegendes auf und eröffnen gerade dadurch Spiel-Räume. Von ihren Schauspielerinnen und Schauspielern verlangt die Regisseurin, den Theaterraum immer…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 12/2020

Kolumne
Kurzer Lebenslauf mit Polizei
von Ralph Hammerthaler
Das erste Mal, dass ich einen Polizisten nicht nur auf der Straße, sondern auch in einer Wohnung sah, war leider bei mir zu Hause. Meine Mutter wollte meinen Vater anzeigen; wenig später zog sie die Anzeige zurück. Damals war ich noch klein, und ich war auch noch nicht groß, als ich von einem Polizeiwagen gestoppt wurde, ich auf meinem Fahrrad, unvorteilhaft auf der linken Spur der Straße. Der Polizist auf dem Beifahrersitz kurbelte das Fenster herunter, und weil mir auf die Schnelle nichts Besseres einfiel, tat ich empört: Bin ich zu schnell gefahren? Diese Frage überging der Polizist und wies mit erhobenem Zeigefinger darauf hin: Rechtsfahren ist amtlich. Das habe ich mir bis heute gemerkt, woran man sieht, dass das gern praktizierte, an die Einsicht appellierende Bürgergespräch der Polizei nicht immer vergeblich ist.
Das zweite Mal, dass ich einen Polizisten in einer Wohnung sah, noch dazu in seiner eigenen, war in Rosenheim. Max arbeitete dort für die Kripo. Ich glaube, er mochte mich, und ich mochte ihn auch, aber viel mehr noch mochte ich seine Tochter, die mich zwar auch mochte, aber nicht so, wie ich es gebraucht hätte. Oft wirkte Max ein wenig zerknirscht, und einmal ließ er ein paar Worte fallen, die ich schwer vergessen kann: Du musst es so sehen, Ralph, wir haben nur mit Abschaum zu tun.
Als ich dem Theater verfiel, sah ich immer wieder Polizisten auf der Bühne, das waren selten echte Menschen, weil meistens komisch und lächerlich gemacht, schon wegen der…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 12/2020

Gespräch
von Shenja Lacher und Christoph Leibold
Shenja Lacher, als Sie vor vier Jahren Ihren Vertrag am Münchner Residenztheater gekündigt haben, erklärten Sie in einem Interview mit der FAZ: Nur „Material“ eines Regisseurs zu sein, sei Ihnen zu wenig. Dann lieber selbst als Regisseur Material formen?
Das wird im Fall von „All By MySelfie“ in Jena sicher nicht so sein. Es ist ein Geben und Nehmen. Die Schauspielerin Mona Vojacek Koper bringt ja ein Grundkonzept und ihre Texte selbst mit, und dieses Material formen wir dann gemeinsam. Aber auch, als ich vor ein paar Jahren an der Bayerischen Theaterakademie das erste Mal mit Schauspielstudierenden eine Inszenierung gemacht habe, habe ich versucht, die Leute nicht in irgendetwas hineinzupressen. Mir geht es eher darum, Feuer zu entfachen, Spiellaune und Fantasie zu fördern. Aber natürlich freu ich mich, wenn gutes „Material“ vorhanden ist. Wo nichts da ist, kann man auch nichts entfachen.
Versuchen Sie der Typ von Regisseur zu sein, den Sie sich als Schauspieler immer gewünscht haben?
Na ja, ich habe ja gar nicht vor, dauerhaft ins Regiefach zu wechseln. Das hat sich so ergeben. Ich sehe mich tatsächlich als Spieler. Das ist aber auch ein bisschen mein Problem. Ich muss lernen, mich zurückzunehmen. Ich arbeite auch als Rollenlehrer. Das macht mir viel Freude, aber ich glaube, dass ich den Studierenden oft auf den Sack gehe, weil ich viel vorspiele. Es ist vermutlich ziemlich anstrengend mit mir, und deswegen verkörpere ich eher nicht das Ideal, das ich mir vorstelle. Ich…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 12/2020

Festivals
Das Favoriten-Festival 2020 in Dortmund zeigt die Licht und Schattenseiten von bezahlter und unbezahlter Arbeit
von Sascha Westphal
Der Besen ist riesig, mit dem Demian Wohler den Boden in der Werkhalle im Union Gewerbehof fegt. Aber das muss er wohl auch sein. Schließlich sind die Ausmaße des Raums enorm. Nach und nach zieht er seine Bahnen zwischen den in der Halle aufgestellten Tischen. Indessen staubt Lucie Ortmann die grünen Zimmerpflanzen ab, die in einem anderen Areal des Raums stehen. Es sind ganz alltägliche Arbeiten, denen Wohler und Ortmann im Zuge des Installationsprojekts „Aufstand aus der Küche: II_VerSammlung DO“ für kurze Zeit nachgehen. Aber sie bekommen an diesem Ort und in diesem Rahmen eine ungeheure symbolische Bedeutung. Die Inszenierung ist von der 1975 entstandenen feministischen Videoarbeit „Semiotics of the Kitchen“ der US-amerikanischen Künstlerin Martha Rosler inspiriert. Während das Publikum durch die Installation schlendert, sich von der Gruppe produzierte Video-Reenactments von Roslers Arbeit ansieht oder die auf den Tischen aufgebahrten Arbeitsgegenstände aus diesen Videos betrachtet, wie eine Kamera und einen Laptop, einen Notizblock und einen Becher, erledigen die Performerinnen und Performer klassische Hausarbeiten.
Kunst und Staubwischen, das wirkt auf den ersten Blick wie ein eklatanter Widerspruch. Und das soll es auch. Denn schon der Gedanke, dass Hausarbeiten sich nicht mit Kunst vereinbaren lassen, dass hier zwei Welten zusammenkommen, die nicht zusammengehören, verrät viel über die Mechanismen und Konditionierungen unserer Gesellschaft. Staubwischen und Fegen,…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 11/2020

Protagonisten
Eine Entdeckung zum 25. Todestag – Heiner Müllers bislang unveröffentlichtes Drehbuch-Exposé „Myer und sein Mord“ fürs DDR-Fernsehen
von Thomas Irmer
Schon lange, bevor der Sendebetrieb des DDR-Fernsehens am 31. Dezember 1991 eingestellt wurde und die Büros entsprechend dem Einigungsvertrag bereits aufgelöst waren, hatte ein Hefter mit Texten Heiner Müllers das Fernsehzentrum in Berlin Adlershof verlassen. Es handelte sich um 29 nicht datierte und vom Autor nicht gezeichnete Typoskriptseiten, unveröffentlicht und bislang in der umfangreichen Sekundärliteratur zu Heiner Müller nicht behandelt.
Christa Vetter, die den Hefter bewahrte und seinerzeit an sich nahm (er wäre wohl sonst im Müll gelandet), war in den 1960er Jahren Dramaturgin für Fernsehspiele beim Fernsehen der DDR und zuvor am Berliner Maxim Gorki Theater tätig gewesen, wo sie Arbeiten von Müller betreut hatte. Das Konvolut umfasst insgesamt 15 Texte in unterschiedlicher Ausführung, vom ausgeschriebenen Treatment bis zur knappen Skizze als vermutlicher Stoffprobe: Entwürfe für kleine Fernsehspiele beziehungsweise eventuelle Literaturverfilmungen.
Diese Entwürfe schrieb Heiner Müller in den Jahren nach 1961 offenbar als Auftragsarbeiten. Der biografische Hintergrund sind die Hungerjahre nach dem Ausschluss aus dem Schriftstellerverband. Kulturgeschichtlich kommt die planvoll vermehrte Produktion von Fernsehspielen im Deutschen Fernsehfunk Anfang der sechziger Jahre hinzu, als Stoffe für das noch junge Medium gefragt waren: für Müller ein wohl wichtiger anonymer Broterwerb in der Beauftragung durch Christa Vetter.
Stofflich haben die 15 Entwürfe wenig bis…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 12/2020

Look Out
Das feministische Performancekollektiv Swoosh Lieu feiert die Produktionsmaschine Theater mit all ihren Störungen
von Theresa Schütz
„Dea ex machina“, die jüngste Produktion des feministischen Performancekollektivs Swoosh Lieu, hätte eigentlich im Frühjahr im Frankfurter Mousonturm Premiere gefeiert. Coronabedingt müssen sich Liebhaberinnen ihrer Arbeiten nun bis Herbst 2021 gedulden, um herauszufinden, welche queerfeministische Technovision die selbst ernannten „Theatermaschinistinnen“ auf der Bühne entfalten werden. Überbrücken ließe sich die Zeit mit dem Verweilen auf den Webseiten ihres künstlerischen Forschungsprojekts „A Feminist Guide to Nerdom“, dem Lauschen ihrer Hörspielversionen von „Who Cares?!“ und „Who Moves?!“ oder der (ohnehin stets wertvollen) Lektüre Donna Haraways, deren Werk in Swoosh Lieus Arbeiten spürbar hineinwirkt.
Die Inszenierung „Who Cares?! – Eine vielstimmige Personalversammlung der Sorgetragenen“ (2016) ist der erste Teil der Trilogie „What Is the Plural of Crisis – ein performativer Krisenbericht in verteilten Rollen“ und bringt das Publikum zunächst mit den Stimmen interviewter Sorge-Arbeiterinnen zusammen: Pflegerin, Erzieherin, Blindenassistentin, Sexarbeiterin – sie alle berichten von ihrem Arbeitsalltag, von schlechter Bezahlung, mangelnder Wertschätzung, der eigenen Erschöpfung und dem Wunsch nach mehr Anerkennung. Auch das visuelle Feld wird bespielt: Fünf Performerinnen, die je ein weibliches Rollenbild in einem Tableau vivant verkörpern, treten der Versammlung bei. Gleiches gilt für Medea, Nora, Antigone oder Mascha, die (imaginär) teilnehmen, indem…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 11/2020

Magazin
Ein epochaler Bruch: Olaf Nicolais Plakatkampagne für die Berliner Schaubühne
von Patrick Wildermann
Der Titel dieser neuen Imagekampagne der Berliner Schaubühne lässt schon aufhorchen. „Nothing for Nothing / Try Again“ hat der Konzeptkünstler Olaf Nicolai sie genannt. Nichts für nichts / Versuch’s noch mal? Das klingt nach nihilistischem Grundrauschen, nach einem Sisyphos-gemäßen Wissen um die Vergeblichkeit aller Neustart-Bemühungen. Eher untypisch für die Selbstwahrnehmung von Thomas Ostermeiers Theater, so weit man weiß.
Möglich natürlich, dass die Shakespeare-affine Bühne unter dem Eindruck der pandemischen Erschütterungen der Gegenwart zum wahren Kern ihres britischen Lieblingsdramatikers gedrungen ist. Vom Literaturprofessor Harald Bloom stammt die Analyse: „Alle großen Figuren – Falstaff, Hamlet, Shylock, Macbeth, King Lear, Kleopatra – waren Nihilisten. Sie alle glauben, wie Hamlet: ‚Der Rest ist Schweigen‘ – das bedeutet die Annihilation, das Nichts.“
Dazu würde der Umstand passen, dass Nicolai – ein hochpolitischer, Documenta-bewährter Künstler, der NS-Justiz-Opfern und Deserteuren Denkmäler setzt – ausgerechnet von den Plakaten radiert hat, was dem Theater bis dato besonders lieb und teuer war: die Schauspielerinnen und Schauspieler. Statt Menschen bietet Nicolai nur bunte grafische Flächen an. Blaue Pfeile auf gelbem Grund, Linien, die auf einen Fluchtpunkt in unendlicher Ferne zulaufen, rot-weiße Absperrband-Optik zu blauer Kästchenreihe. Ein epochaler Bruch.
Sieben Spielzeiten lang hat die Schaubühne namhafte, international tourende Fotografinnen…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 11/2020

Gespräch
von Natalie Fingerhut und Tuğsal Moğul
Foto: Linda Rosa Saal
Herr Moğul, viele Ihrer Stücke thematisieren die Entwicklungen an unseren Krankenhäusern. Sie sind aber nicht nur Dramatiker und Regisseur, sondern selbst auch Arzt: Wie sehen Sie den Klinikalltag?
Als ich von Niels Högel las, war meine erste Reaktion: Das hätte überall in Deutschland passieren können.
Der Krankenpfleger hatte Patienten lebensbedrohliche Medikamente gespritzt und wurde in 85 Fällen des Mordes schuldig gesprochen.
Das System ist so überfordernd, das medizinische Personal so unter Druck, dass man gar nicht mehr die Möglichkeit oder die Lust hat zu fragen, wie es dem Kollegen geht oder wie er seinen Job macht. Durch die Agenda 2010 und die Privatisierung der Kliniken haben Konzerne die Krankenhäuser zu Dienstleistungsunternehmen gemacht: Wir müssen gewisse Leistungen erbringen, damit das Haus ein Plus erwirtschaftet. Dafür werden viele OPs durchgeführt, die womöglich gar nicht indiziert sind.
Was hat Corona mit Ihnen als Regisseur gemacht?
Mein Stück „Deutsche Ärzte grenzenlos“ sollte im März in Münster uraufgeführt werden. Zwei Stunden davor waren wir im Lockdown, weil 25 Leute im Theater positiv getestet wurden, das war heftig.
Die Münsteraner Uraufführung wurde ins nächste Jahr verschoben. Unterdessen kam ein neues Stück von Ihnen im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses heraus: „Wir haben getan, was wir konnten“.
Derzeit dürfen dreißig Zuschauer in diesen Saal, in der Premiere saßen gefühlt zwanzig Kritiker und zehn reguläre…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 11/2020
Die Schauspielerin Valery Tscheplanowa über die Anfänge ihrer Bühnenkarriere und ein Leben zwischen zwei Welten im Gespräch mit Dorte Lena Eilers
von Dorte Lena Eilers und Valery Tscheplanowa
Als Valery Tscheplanowa 2007 mit den ersten Sätzen der Ophelia aus Heiner Müllers „Hamletmaschine“ in der Regie von Dimiter Gotscheff auf die Bühne des Deutschen Theaters Berlin trat, war dies wie eine Explosion. „Ich bin Ophelia. Die der Fluß nicht behalten hat. Die Frau am Strick Die Frau mit den aufgeschnittenen Pulsadern.“ Seitdem sind 13 Jahre vergangen, in denen Valery Tscheplanowa wie ein Irrlicht durch die Stadttheater zog und längst auch ihren Weg zum Film gefunden hat. Der soeben im Verlag Theater der Zeit erschienene Gesprächsband „backstage TSCHEPLANOWA“ schildert die Reise einer eigenwilligen Schauspielerin, die 1980 im sowjetischen Kasan beginnt, den Leser durch die Wirren des Systemumbruchs in ein einsames norddeutsches Dorf führt, von russischen Schamanen, hilflosen Intendanten und palästinensischen Macho-Frauen erzählt und mit ihrer Theaterarbeit mit Dimiter Gotscheff und Frank Castorf noch lange nicht endet. Die vorliegende Passage ist ein kurzer Ausschnitt davon. Das Gespräch wurde im Sommer 2019 geführt.
Valery Tscheplanowa, Sie kommen gerade aus Salzburg, wo Sie bei den Festspielen im diesjährigen Jedermann die Buhlschaft spielen. Hugo von Hofmannsthal sagte vor einhundert Jahren über diese Stadt: Das mittlere Europa habe keinen schöneren Raum. Der ewige Salzburg-Hasser Thomas Bernhard hingegen sprach von einer perfiden Fassade, derer man so schnell wie möglich entfliehen solle. Steht Ihr Fluchtauto auch schon bereit?
Beides trifft zu! Ich…mehr
aus dem Buch: TSCHEPLANOWA

Protagonisten
Alexander Langs Weg vom Schauspieler zum Regisseur – Eine biografische Skizze anlässlich der Verleihung des Konrad-Wolf-Preises in der Berliner Akademie der Künste
von Thomas Wieck
Verwundertes Erstaunen über sich und das eigene Sein in der Welt im jähen Gewahrwerden, dass die Welt eine andere als die vorgedachte und ausgedachte ist: Das ist wohl ein Grundgestus des jugendlichen Heldenspielers Alexander Lang am Deutschen Theater Berlin Anfang der siebziger Jahre gewesen. Dass diese bittere Erkenntnis den Helden zum hemmungslosen Rasen gegen sich und die Welt brachte, begeisterte Zuschauer und Kritiker.
Im Hause selbst fand er schnell Anerkennung und Fürsprache; erstaunlich für einen jungen Schauspieler, wenn er direkt vom Berliner Ensemble kam: „Er hat intuitives Gespür für Kostüme, er weiß viel von der Erzählfähigkeit von Haltungen und Gesichtern. Er weiß oder ahnt ebensoviel von dem Wesens- und Umweltgeprägten der Stimme. Und wenn er sich in diesem Sinne alles gründlich und genau gemacht hat, kommt der romantische Ernst einer Begeisterung für das herrliche Wunder, sich auf dem Theater unentwegt verwandeln zu können, in beinahe übermütiger Aufhebung aller Selbststrenge noch dazu.“
Der Blick Ilse Galferts auf Lang in Theater der Zeit (Heft 9/1972) lässt schon eine Regiebegabung ahnen. Aber noch dominiert die Spielwut. Und Lang hat Kräftiges und viel zu spielen: Ferdinand, Caliban oder – an einem Abend – den Prinzen von Homburg und Ruprecht in dem berühmten Kleistdoppelprojekt Adolf Dresens. In „Die Insel“ – inszeniert von Klaus Erforth und Alexander Stillmark – gelang ihm und seinem Partner Christian Grashof eine schauspielerische Meisterleistung.…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 10/2020

Kolumne
Über die Seuchen-Kunst Korona und ihre Kritiker
von Josef Bierbichler
Notiz am 8.3.2020. Drei Wochen vor dem Lockdown: Das Nichtwissen zeigt sich. Die Hilflosigkeit wächst. Mit ihr Angst und Aktionismus. Nie für möglich Gehaltenes geschieht in kurzer Zeit. Gebiete werden abgeriegelt, Länder lahmgelegt, Kontinente werden folgen. Ganze Wirtschaftszweige verlangsamen den Pulsschlag beim Kampf um Profit, bis hin zum Kollaps.
Die Virus-Katastrophe wird zum wirksamen Mittel gegen die andere, die droht wie keine zuvor – abwiegelnd Klimawandel genannt: Der CO2-Anstieg hat sich zum ersten Mal verringert.
Klima. Virus. Tod.
Aber das Klima ist nicht bedroht, es verändert sich nur. Die gestörte Natur passt sich an das Klima an und generiert das Virus. Mehr nicht. Es gibt Lebewesen, die das nicht ertragen. Bedroht sind Pflanzenarten und andere. Auch fleischliche. Die Menschenart ist darunter. Was widersteht, bleibt, was nicht, verschwindet.
Bald wird Hauen und Stechen sein. Noch werden Fremde angefeindet, egal aus welchem Teil Asiens sie sich hergewagt haben, unvorsichtig. Unvorsichtig sind alle. Auch die, die das Virus schon personifiziert haben als „Chines“. Sie fühlen sich sicher in der Anfeindung. Die ist ihr selbst gemachter Schutz gegen das Virus. Bald wird es „italienisch“ sein. Schon schwieriger. Und bald steht der Feind innerhalb der eigenen nationalen Grenzen. Er kommt aus der nächsten Stadt, dem nächsten Dorf, aus der Haustür des Nachbarn. Bürgerkrieg!!!!
GUT gegen BÖS. Nach kurzer Zeit ist GUT nur mehr ICH.
Nur das Klima bleibt…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 10/2020

ASSITEJ
Beobachtungen zur Online-Spielzeit mit+abstand von KJTZ und ASSITEJ
von Philipp Schulte
mit+abstand – die epidemiologisch angeratene Devise des Frühjahrs 2020 – wurde kurzerhand in ein visionäres Spielzeitmotto umgewandelt. Die Organisator*innen vergaben 15 Mini-Stipendien an freischaffende Künstler*innen.
Verbunden mit der Aufforderung, abstands- und online-taugliche kleine Formate für ein junges Publikum zu entwickeln, entstanden neue Kurzfilme und Hörstücke, Minutenmärchen, interaktive Diskussionsformate über die Zukunft des Theaters, ungewöhnliche literarische Texte, Aktionen im öffentlichen Raum und eine choreographische Studie. Diese wurden als Spielzeit auf dem Blog des KJTZ zwischen 20. April und 12. Juni 2020 veröffentlicht. Zeit für eine kurze Bilanz – in Form von sechs Antworten auf die Frage: Wie kommt das Neue in die Welt?
1. Formal oft einfach ...
Einen Ort, eine Zeit, eine Hauptfigur, einen Konflikt, einen Feind, eine Wende – dass es gar nicht viel braucht, um gute Geschichten zu erzählen, zeigt Till Wiebel in seinem partizipativen Textprojekt DIE QUAL / DER WAL. Für all diese Kategorien macht er in seinem Online-Katalog zahlreiche ebenso witzige wie absurde Vorschläge; die Geschichten (und Spielregeln) dazu müssen wir uns selber ausdenken, oder aushandeln, oder erwürfeln. Ob sich nun ein Pfau in einer Brauerei mit einer unerwiderten Liebe auseinandersetzen muss, oder ein Eisberg am Weihnachtsmorgen von einem Bademeister entführt wird: Wiebels Open-Source-Projekt bietet Stoff für mehr Erzählungen als ein Baum an Blättern trägt und zeigt, wie…mehr
aus der Zeitschrift: IXYPSILONZETT 02/2020

Gespräch
von Kornél Mundruczó und Tom Mustroph
Kornél Mundruczó, Budapest ist – wieder einmal – in aller Munde, weil Studierende und Lehrende die dortige Film- und Theateruniversität besetzt haben. Sie haben früher auch dort studiert. Was ist der Anlass der Besetzung?
Ich studierte zwischen 1994 und 2003 an der Budapester Universität für Theater- und Filmkunst: erst Schauspiel, später Regie. Neun unvergessliche Jahre, die mir sehr viel gegeben haben. Inzwischen ist die Institution durchaus reif für eine Reform geworden, aber was jetzt passiert, ist eine reine Machtübernahme. Die Universität wurde von einer privaten Stiftung übernommen, deren Kuratoriumsmitglieder von der Regierung bestimmt wurden. Die Autonomie der Universität wurde aufgehoben, Rektorat und Senat sind zurückgetreten. Den Studenten blieb kaum eine andere Wahl. Ich bewundere die Courage, die Entschlossenheit und den Mut, mit denen sie für ihre eigenen Rechte, ihre eigene Zukunft kämpfen. Damit kann man sich nur solidarisieren.
Was genau sind die Forderungen?
Sie fordern die Wiederherstellung der Autonomie der Universität und alles, was damit zusammenhängt. Seit der Wende 1990 haben wir Demokratie in Ungarn. Darüber, wie sie funktioniert, kann man sich streiten, aber es ist eine Demokratie. Diese Demokratie erlitt in den vergangenen zehn Jahren ernsthafte Wunden. Unter anderem wurde die Freiheit der Lehre und der Kunst beschränkt. Der Dialog zwischen denen an der Macht und denen, die nicht an der Macht sind, ist fast völlig aufgehoben. Die Studenten…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 10/2020