
Inszenierung
Ariel Dorons interaktive Objektperformance „Do not open!“
von Annika Gloystein
Was machen Sie, wenn Sie von einem personenlosen Lastenfahrrad angesprochen werden? Ach so, ist noch nicht vorgekommen!? Falls Ihnen aber danach ist und Sie wissen wollen, was es geladen hat, haben Sie nochmal Gelegenheit im Mai beim internationalen figuren.theater.festival in Erlangen mit dem Gefährt „ins Gespräch zu kommen“. Wenn Sie ihm unvoreingenommen gegenübertreten wollen, sei Ihnen an dieser Stelle vom weiteren Lesen abgeraten. Falls Sie (vorher) lieber wissen wollen, wie andere so mit dem Zweirad zurechtkamen: Es sprach im August 2020 in Erlangen und im Oktober in München Festivalgäste und Passant*innen an – ein Projekt im Rahmen des 40. Erlanger Poetenfests in Koproduktion mit wunder. Internationales Figurentheaterfestival München. Die Kontaktaufnahme beginnt freundlich einladend, geheimnisvoll flüsternd über dringlich flehend bis beschwörend, man möge den Front-Ladebereich des Lastenrads öffnen. Findet die Stimme nicht die gewünschte Beachtung, geht sie über zu einem genervten oder gelangweilten Ton, klingt hilfsbedürftig, unterstreicht das Anliegen mit Klopfgeräuschen aus dem Inneren oder einem langen verzweifelten Schreien. Manch eine*r bleibt stehen, ob der unerwarteten Ansprache, unschlüssig, wie damit umzugehen sei. Doch ein Näherkommen kann jäh unterbrochen werden („Halt! Stop!“ / „Hör auf, lass mich in Ruhe“ / „Nicht öffnen!“). Wendet sich die Person wieder ab, wird klagend interveniert („Komm zurück!“ / „Verlass mich nicht!“). Nicht alle lassen sich…mehr
aus der Zeitschrift: double 43

Thema
Überlegungen zur neuen Präsentation der Puppentheatersammlung Dresden
von Kathi Loch
Ende 2022 wird die Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) ihr neues Domizil in einem ehemaligen Heizkraftwerk in der Dresdner Innenstadt beziehen und voraussichtlich ab Herbst 2023 dort Ausstellungen präsentieren. Dr. Kathi Loch betreut als Projektleiterin alle kreativen, kommunikativen und organisatorischen Prozesse rund um diesen Umzug und fragt, inwiefern der „Neustart“ genutzt werden kann, um vielfältige Barrieren abzubauen.
Die Zukunft verspricht Sichtbarkeit und Zugänglichkeit: In der Südfassade des „Lichtwerks“ im Dresdner Kulturareal „Kraftwerk Mitte“ klafft ein Tor von fast sieben Metern Breite und zehn Metern Höhe, ursprünglich verschlossen durch eine bewegliche Stahlwand. Diese wurde inzwischen herausgefahren und an ihrer Stelle werden bald eine große Glasfront und, auf Straßenniveau, ein Windfang eingebaut. Das Portal am neuen Standort: monumental, transparent, nicht zu übersehen. Das sind also gute Aussichten für eine Sammlung, von der in den letzten Jahren nur Bruchteile der Öffentlichkeit präsentiert werden konnten. Doch ist es mit einer willkommen heißenden Eingangssituation schon getan?
Barrierearmut in Architektur und Ausstellung
Es wäre schön, wenn die Puppentheatersammlung im Kraftwerk Mitte ein inklusiver Ort mit möglichst wenigen Barrieren sein könnte. Aber machen wir uns nichts vor: Barrierefreiheit ist eine Utopie und selbst die Schaffung von Barrierearmut wird für uns Planer*innen, Gestalter*innen,…mehr
aus der Zeitschrift: double 43

Thema
Der Autor Mudar Al Haggi und die Regisseurin Stella Cristofolini im Gespräch mit Tim Sandweg über das trilinguale Objekttheaterstück „Wenn Farah weint“
von Mudar Al Haggi, Stella Cristofolini und Tim Sandweg
Tim Sandweg: „Wenn Farah weint“ erzählt die Geschichte einer weiblichen Emanzipation vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen. Wie begann der Prozess, einen Theatertext mit dieser Figur im Zentrum zu entwickeln?Mudar al Haggi: Es fing 2013 mit dem Projekt „Now T_here“ an, in dem wir mit syrischen Autorinnen und Autoren ausgehend von realen Geschichten Texte entwickelt haben. Ich habe mich mit einer jungen Frau beschäftigt, die versucht hatte aus Syrien nach Jordanien zu fliehen, aber von der Polizei aufgegriffen wurde. Dabei ist eine Szene entstanden, in der der Vater der Frau den Polizisten, der die Frau verhört, trifft und die beiden über ihre Zukunft entscheiden – das wollte ich weiterverfolgen und habe mich entschieden, ein Theaterstück mit Farah im Zentrum zu schreiben. Ich habe dann, nachdem ich Damaskus verlassen hatte, in Beirut zwei Jahre an dem Stück gearbeitet und dabei wurde immer deutlicher, dass es nicht nur um die Geschichte von Farah und ihrer Revolution geht, sondern um eine soziale Veränderung: Müssen wir das politische System verändern oder die ganze Gesellschaft?
Ich habe den Text zunächst in der englischen Übersetzung kennen gelernt, auf deren Basis ihr die deutsche Übersetzung vorgenommen habt.Stella Cristofolini: Die englische Übersetzung konnte mit Unterstützung der European Cultural Foundation vorgenommen werden. Das war ein Prozess, der durch unser Lektorat, durch viele Gespräche und Diskussionen begleitet wurde: Gerade die arabische Sprache…mehr
aus der Zeitschrift: double 35

Thema
Teatr Malabar Hotel Warschau und das BTL Białystok: „Czarodziejska góra“ (Der Zauberberg)
von Steffen Reck
Es gibt manchmal besondere Abende im Theater, an denen man dankbar ist und froh, dabei gewesen zu sein. Und wenn man dann beschreiben möchte, weshalb man dies für ein Glück hält, ist man zum Scheitern verurteilt. Denn wie kann man den komplexen Vorgang darlegen, der sich schon wieder verflüchtigt hat und bereits gewesen ist, zumal zu diesem ganzen Erlebnis in nicht unerheblichem Maße die eigene Gestimmtheit gehört … Das Gastspiel des Teatr Malabar Hotel, Warschau und des Puppentheaters Białystok, das ich in der Schaubude Berlin gesehen habe, weiß um diese Flüchtigkeit und um die Verwirrung, die unser Bewusstsein angesichts der Tatsache befällt, dass wir endlich sind. Für das Erproben und Durchspielen seiner Vorstellungen hat das Ensemble aus Polen sich einen sprachgewaltigen Text heran gezogen, den Roman „Der Zauberberg“ von Thomas Mann, veröffentlicht in einer Zeit, in die der Erste Weltkrieg noch nachhallte; „[…] der Dualismus von Geist und Natur, der Widerstreit von civilen und dämonischen Tendenzen im Menschen – im Kriege wird dieses Problem ja eklatant, und in die Verkommenheit meines Zauberberges soll der Krieg von 1914 als Lösung hereinbrechen […].“1
Schreiben und Theatermachen können weit auseinanderliegende Tätigkeiten sein, Lesen und Theater-Erleben sind sich da schon ähnlicher. Wobei eine Aufführung in nachbarlicher – hier polnischer – Sprache und die damit verbundene Bildübertertitelung diese Arten von Rezeption schon wieder verbindet und, hat man sich erst mal…mehr
aus der Zeitschrift: double 35

Inszenierungen
„Frankenstein“ von gold extra in Koproduktion mit ARGEkultur
von Michael Isenberg
Im letzten Jahr warnte Microsoft-Gründer Bill Gates vor den ungeahnten Folgen der Entwicklung künstlicher Intelligenz: „Am Anfang werden die Maschinen viele Aufgaben für uns erledigen und nicht besonders intelligent sein. Das sollte positiv sein, sofern wir es gut verwalten. Ein paar Jahrzehnte später aber wird die Intelligenz groß genug sein, um für Beunruhigung zu sorgen.“ Aber wovor sollten wir genau Angst haben?
Am Anfang von „Frankenstein“ des Salzburger Kunstkollektivs „gold extra“ (Arrangement, Bearbeitung und Adaption: Reinhold Bidner, Tobias Hammerle, Sonja Prlic, Karl Zechenter) befinden wir uns in einer Zukunft, in der die Menschheit durch einen Virus, den „Big Bug“, ausgelöscht wurde. In einem Krankenhaus haben sechs Roboter überlebt und vollführen seit vielen Jahren ihre geschäftigen Routinen. Sie röntgen und operieren, dosieren Medikamente und beziehen Betten, erzählen sich gegenseitig Witze in den Raucherpausen oder beschweren sich bei der Oberschwester – einer stilisierten Leinwandprojektion, Mutter Betriebssystem – über die Arbeitsbedingungen. Die verschiedenen Maschinenmodelle rollen, piepsen, blinken und hantieren mit Schläuchen oder Greifarmen auf der Bühne. Jeweils ein Bildschirm mit zu Emoticons stilisierten Gesichtern und eine Menschenstimme vom Band gibt ihnen die nötige Portion Persönlichkeit. Doch plötzlich ertönt ein Alarm: Die Effizienzprüfung – ein Relikt aus Menschentagen – hat Defizite im Betriebsablauf festgestellt. Ein Patient muss her, ein…mehr
aus der Zeitschrift: double 33

Thema
Die Puppen des Francisco Sanz Baldoví
von Theresa Eisele
Sie winken, rauchen, sprechen und klimpern mit den Wimpern: Die mechanischen Puppen des spanischen Varietékünstlers Francisco Sanz Baldoví begeisterten in den 1910er Jahren durch ihren menschenähnlichen Bewegungsapparat. Auf ihrer Tournee über die Iberische Halbinsel forderten sie die Kirchenlehre von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen heraus und sorgten für einen handfesten Skandal. Rückblick auf eine Hybris.
Der Skandal begann zwei Tage nach dem Auftritt. Einige Damen, so berichteten Journalisten später, hätten sich über Francisco Sanz Baldoví und Pepito beschwert. Am 26. Oktober 1911 hatten sie den Salón Doré in Barcelona besucht und dort den Künstler mit seiner mechanischen Puppe auf der Bühne erlebt. Sanz (1872–1939) tourte zu diesem Zeitpunkt bereits als gefeierter Bauchredner und Figurenspieler durch Spanien, trat in Cafés, Salons und Varietés mit Gitarre und anekdotischen Erzählungen auf, vor allem aber war er durch seine „familia mécanica“ auf der Halbinsel berühmt geworden. Diese „mechanische Familie“ umfasste zeitweise bis zu 25 lebensgroße Automatenpuppen, deren Stahlskelett und Automatismen Sanz mit entwarf. Unter ihnen: Pepito, eine Kinderpuppe im Matrosenanzug und mit weißem Schultertuch. Für den Auftritt im Salón Doré kleidete sich auch der Künstler im Anzug und setzte wohl, wie schon einige Male zuvor, Pepito auf seine Knie. So konnte Sanz die Puppe mit der rechten Hand an der Spielmechanik am Rücken steuern, während er gleichzeitig für sie…mehr
aus der Zeitschrift: double 33

Theaterprobe als Möglichkeitsraum
Zur Spezifik der Produktionsweisen im Theater der Dinge
von Markus Joss
Alle Theaterarbeit ist Dialog. Nur stellt sich die Frage: Wer darf mitreden, wer wird gehört; wer darf mitspielen, wird in Betracht gezogen? Der folgende Text ist ein Plädoyer für zwei auf den ersten Blick sich ausschließende Strategien: Der radikalen Ausweitung des Dialoges auf viele potenzielle Akteure und der ebenso rigorosen Entscheidung fürs Ausgrenzen, Zurechtstutzen, das Maul verbieten oder gleich ganz stopfen - wo dieses Not tut. Das Vokabular ist brachial. Aber die Akteure werden es aushalten, sie sind aus Stahl, Holz, Latex, es sind Kabelstränge, Fußschalter, Projektionsgeräte, es sind Steuerungssoftware verpackt in Hardware, harte Sachen. Und wer zu ihnen geht, vergisst den Hammer nicht und nicht den Lötkolben.
DINGE BEGREIFENEs sind Dinge mit einer je spezifischen materiellen Bedingtheit. Das Ding ist in der Kunstform, über die hier gesprochen wird, das konstituierende Element. An ihm und mit ihm findet Kommunikation und unmittelbares Erleben statt. Im Folgenden soll hier also von einem Theater der Dinge die Rede sein. Das schließt sowohl die Puppe ein, die das Atelier verlassen hat, wie jene Dinge, die gleichsam roh und unbearbeitet auf die Bühne finden.
All diese Dinge müssen erst mal begriffen werden. Und hier fängt der geforderte Dialog an. Mit einem Begreifen in ganz eigentlichem Sinne. Wer mit Dingen arbeitet und sie nicht begriffen hat, wird schwerlich mit ihnen in einen Dialog treten können. Er sieht sie von außen und wird sie nur als solche einzusetzen…mehr
aus der Zeitschrift: double 32

Inszenierungen
Gisèle Vienne und Puppentheater Halle: „Das Bauchrednertreffen“
von Veronika Darian
Die Show beginnt fast verhalten. Während sich im Hintergrund die Bauchredner und ihre Puppen versammeln, ein Schwätzchen halten und miteinander scherzen, legt eine Puppe auf einem Stuhl im Vordergrund – assistiert und gleichzeitig unterbrochen von ihrem Spieler Lars (Frank) – mit zuckenden Bewegungen Hand an sich. Die unterdrückte Gewalt, gegenseitige Abhängigkeit und verzweifelte Zuneigung, die sich hier bereits andeuten, werden im Lauf des Abends immer wieder ausbrechen und die Abgründe des scheinbar harmlosen Puppenspiels offenlegen. Doch zunächst läuft die Show schwungvoll an mit der Ankunft des Stars Nils (Dreschke), der soeben aus Las Vegas heimgekehrt ist und auch an diesem Abend den Entertainer gibt. Seine Vorstellung der einzelnen Bauchredner und ihrer Puppen gleicht Porträts der schlimmsten Klischees, die sich – von der Populärkultur verbreitet und stellvertretend für alle Schausteller – in unser Gedächtnis eingebrannt haben: Puppenspieler und Bauchredner als gespaltene Persönlichkeiten, von einer schlimmen Kindheit traumatisiert, alles eitle Egos und soziale Versager. Die Regisseurin Gisèle Vienne und das erweiterte Ensemble des Puppentheaters Halle1 schleudern dem Publikum lustvoll und übertrieben diese Nummernrevue der Pathologien entgegen. Allerdings bleibt es nicht bei den aufgerufenen Stereotypen. Und das verdankt sich vor allem der hier eingesetzten, lange marginalisierten Kunst der Bauchrednerei, durch die die Regisseurin die zurecht gerühmte offene…mehr
aus der Zeitschrift: double 32

Thema
Das Internet der Dinge und seine Bedeutung für das Objekttheater
von Tina Lorenz
Das Internet der Dinge scheint die Technologie der nahen Zukunft zu sein. Doch schon heute umgeben uns viele Alltagsgegenstände, die auf digitalem Wege miteinander kommunizieren. Die Theaterwissenschaftlerin und Netzaktivistin Tina Lorenz fragt, was hinter der Technik steckt und welche Möglichkeiten sich für die Kunst von morgen ergeben.
Stellen Sie sich vor, Sie haben zwei Objekte in der Hand, die früher nie geredet haben, weil Dinge ja in der Regel eher selten sprechen. Auf einmal fangen die Gegenstände an sich mitzuteilen. Sie stellen sich einander vor, erzählen sich gegenseitig, woher sie kommen, wo sie noch hingehen und dass ihr Onkel Ernst neulich in Sibirien war. Herzlich willkommen im Internet der Dinge, in dem Objekte aus der Welt der Atome eine Identität in der Welt der Bits bekommen und über verschiedene Möglichkeiten der Vernetzung miteinander, mit der Welt und mit uns kommunizieren.
KOMMUNIZIERENDE DINGE
Um Objekten zunächst überhaupt zur Kommunikation zu verhelfen, muss man sie miteinander vernetzen, um ihnen so einen Weg zu geben, sich mitzuteilen und zu verarbeiten, was ihnen mitgeteilt wird. Das funktioniert entweder über eine Kabelverbindung, über RFID (Radio Frequency ID, also eine empfangs- oder sendefähige Antenne, die über Funk ausgelesen werden kann), über WLAN oder via Bluetooth, um nur ein paar Möglichkeiten zu nennen. Man kann sogar das Stromnetz dazu verwenden, um Daten zu übermitteln: Viele „smarte“ Objekte, gerade im häuslichen Bereich (man…mehr
aus der Zeitschrift: double 31