Theaterverlage in Mexiko
von Edgar Chías
Seit zehn Jahren durchlebt Mexiko eine heftige Krise, deren Widersprüchlichkeit faszinierend ist. Öffentliche Diskurse und politische Repräsentationssysteme waren noch nie so schwach wie heute. Die Wirklichkeit scheint auseinanderzubrechen. Auf Stellungnahmen und Reden der Regierungsvertreter antwortet fast unmittelbar ein riesiger, anwachsender Stimmenchor, der aus allen Gesellschaftsbereichen dringt und seinem Misstrauen gegenüber politischen und auch kulturellen Vorgaben Ausdruck verleiht. Paradoxerweise scheint die mexikanische Dramatik gerade jetzt eine ihrer Stern stunden seit den Avantgardebewegungen des letzten Jahrhunderts zu erleben.
Seit dem Jahr 2000 und mit der Entstehung des von Carlos Nóhpal geleiteten unabhängigen Verlags Anóni mo Drama (Drama Anonym) ist die Art und Weise, Theatertexte in Mexiko zu publizieren, deutlich in Bewegung geraten. Zu jenem Zeitpunkt besagte die Statistik der Inszenierungen in den wichtigsten Produktionsstätten des Landes – Festivals eingeschlossen –, dass zu 80 Prozent ausländische Autoren und zu 20 Prozent mexikanische Autoren aller Epochen gespielt wurden. Zählt man heute die Premieren in mexikanischen Produktionsstätten, so hat sich dieser Prozentsatz bis 2014 exakt umgekehrt. Das ist auf den nationalen und internationalen Erfolg einer vielköpfigen Autorengruppe zurückzuführen, aber auch und vor allem auf Plattformen, die Öffentlichkeit schauen. Dazu zählen das Festival de la Joven Dramaturgia (Festival für junge…mehr
aus der Zeitschrift: Mexiko

rätoromanische schweiz
Giovanni Netzer, Gründer des Festivals Origen, über Theater in 2200 Metern Höhe und den archaischen Zauber der rätoromanischen Sprache
von Dorte Lena Eilers und Giovanni Netzer
Herr Netzer, Sie haben 2005 das Festival Origen gegründet – auf der Burg Riom nahe dem knapp 350-Seelen- Dorf Riom-Parsonz, das auf über 1200 Höhenmetern liegt. Sie bespielen sogar den Julierpass in 2200 Metern Höhe. Wie kommt man auf die Idee, gerade dort ein Festival zu initiieren? Zumal eines, das jetzt erstmals auch im Winter stattfindet.Ich bin in den Bergen aufgewachsen. Das Hochgebirge ist für mich ein Ort der Inspiration, mit ausreichender Einsamkeit, die konzentrierte Intensität ermöglicht. Ich mag es nicht, fortdauernd zerstreut zu werden, ich möchte nicht unablässig unterhalten werden. Das beschauliche Dorf verspricht Wärme, Geborgenheit, Bodenhaftung. Die Bergriesen, die das Dorf fassen, sind voller Mythen, die erzählt werden wollen. Am Pass, weiter oben, stoßen die Kulturen zusammen, der blumige Süden, der karge Norden, die Sprachen, die Konfessionen, die Lebensarten. Über den Julierpass wurde in der Bronzezeit Bernstein nach Ägypten transportiert, die Römer haben die Passhöhe mit Tempelbauten bestückt, später verirrte sich dort der junge Kaiser Friedrich II. im Nebel, dann kamen Panzersperren, gottlob keine Armeen. Die Berge sind mein Theater, da gibt es mythische Stoffe, gewaltiges Lichtdesign, echte Stürme und berückende Bühnenbilder.
Ja, es sind atemberaubende Bilder, die dort entstehen. Aber hat vor der Kulisse dieses Naturspektakels Kunst überhaupt eine Chance? Oder anders gefragt: Droht Kunst hier nicht zur verklärten Weltflucht zu werden?Das Gegenteil…mehr
aus der Zeitschrift: Schweiz

Bestandsaufnahme
Ein exemplarischer Blick auf die Schweizer Theaterlandschaft
von Daniel Imboden
Matterhorn, Eiger und Rigi überstrahlen in der Außenwahrnehmung alle anderen Schweizer Bergspitzen, und seien sie noch so wohlgeformte Viertausender. Doch lokal spielen auch weit weniger hohe Erhebungen eine wichtige Rolle. Ähnliches lässt sich über die Theaterlandschaft der Schweiz feststellen. Christoph Marthaler, das Teatro Malandro, die Compagnia Finzi Pasca, Milo Rau oder Zimmermann & de Perrot genießen internationale Anerkennung. Vor Ort prägen aber auch viele andere Institutionen und Gruppen die sehr lebendige und vielfältige Schweizer Szene. Die unterschiedliche Farbgebung verläuft auf der geografischen Achse der Sprachregionen und auf der strukturellen der Theatersysteme (Repertoire vs. Ensuite und Stadttheater vs. freie Szene, wobei es einzig in der Deutschschweiz durch die Stadttheaterstruktur ein ausgeprägtes Repertoiresystem gibt). Derart manifestieren sich eine spannende Vielzahl von unterschiedlichen Arbeitsweisen und Spielformen. Eine spezifische Schweizer Theaterästhetik gibt es nicht. Festzuhalten sind höchstens eine große Eigenständigkeit und Eigenwilligkeit, die durch die sprachlichen und kulturellen Abgrenzungen zusätzlich eine regionale Ausprägung erfahren. Denn die Orientierungs- und Perspektivpunkte für die Deutsch- und diejenigen der Westschweiz sowie des Tessins und der rätoromanischen Regionen sind breit gestreut.
Stadttheater. Die Regisseurin Karin Henkel zeigte im Herbst 2015 im Zürcher Schiffbau mit dem Mammutprojekt „Die zehn Gebote“…mehr
aus der Zeitschrift: Schweiz