Max Pross – Das Totenfest nach Jean Genet
Bühne Mara-Madeleine Pieler. Kostüme Clarissa Freiberg. Dramaturgie Finnja Denkewitz. Musik Raphaela Andrade
von C. Bernd Sucher
Liebe kennt keine Grenzen
„Ich liebe ihn noch immer!“, sagt Josef Ostendorf, allein an einem Tisch sitzend, vor sich ein Glas Rotwein. Er trägt – nach vielen Verwandlungen zuvor, nach Kleidungs- und Rollenwechseln – jetzt nur ein schwarzes Unterhemd, eine weite Unterhose und Kniestrümpfe, eine Perlenkette um den Hals. Ein trauriger, lächerlicher Typ. Nichts versteckt den massigen Körper, das nackte Fleisch. Dieser letzte Satz, gesprochen in die Dunkelheit des Raums, beendet einen Theaterabend, der nur ein Thema hat: die Liebe. Die Liebe eines Mannes zu einem Knaben.

Ostendorfs erste Worte, die er in eine Schreibmaschine hackte, waren ein Geständnis: „Ich liebe junge Männer!“ Wehmütig und zugleich stolz pries er gleich darauf die Schönheit der Knaben und ihr „knabenhaftes Heldentum“ im von den Deutschen besetzten Frankreich. Der korpulente Ostendorf, der sechzigjährige Mann mit der Halbglatze, spielt Jean Genet. Und der sehr junge Paul Behren, knabenhaft, ephebisch, spielt Genets Liebhaber Jean Decarnin. Ihm, der im Kampf fiel, widmete der französische Dichter ein literarisches Totenfest. So auch der Titel des Romans, in dem der Tod zusammen mit der Hochzeit gefeiert wird. In Genets Œuvre sind beide sehr oft Ziel von Leben. Decarnin gehörte zu einer Widerstandsgruppe, die gegen die deutschen Besatzer kämpfte. Während der Befreiung von Paris wurde er tödlich verwundet.
Bevor der Dichter auf der kleinen Spielfläche das Wort ergreift, sehen wir Paul Behren, der wie ein DJ Sounds sampelt – bis er abrupt die Stopptaste drückt. In die Stille hinein befragt er sich und die Zuschauer – denn alles Spiel an diesem Abend ist eines, das sich direkt an die Zuschauer richtet, die an allen vier Seiten, sehr dicht an den Darstellern, sitzen. Ausgeliefert. Behren zitiert aber nun nicht Genet, sondern einen Fremdtext, den der Regisseur Max Pross hinzugefügt hat. Eine Passage aus dem Drama „Der große Gott Brown“ von Eugene O’Neill: „Warum habe ich Angst davor zu tanzen, ich, der Musik, Rhythmus und Grazie, Gesang und Gelächter liebt? Warum habe ich Angst davor zu leben, ich, der das Leben und die Schönheit des Fleisches und die lebendigen Farben von Erde, Himmel und Meer liebt? Warum habe ich Angst vor der Liebe, ich, der die Liebe liebt?“