(Küssende Fernseher)
von Ralph Hammerthaler
Ende Oktober 1981 war das proT erstmals in einer großen Ausstellung zu sehen. Für ein Theater mag das ungewöhnlich erscheinen, nicht so aber für das proT, denn Sagerer fühlte sich bildenden Künstlern oft enger verbunden als Theatermachern. Schon sein früher Komplize von Hündeberg war Maler. Nikolai Nothof und Karl Aichinger, beide als Schauspieler im Ensemble, fingen in den 1970er Jahren an zu malen und stellten ihre Bilder im Kellertheater aus. Bei Aktionsabenden des proT lösten sich die Grenzen der Genres ohnehin auf. Dafür, dass sich die Kontakte zur Kunstszene vertieften, sorgte nun Brigitte Niklas. In der Künstlerwerkstatt Lothringer Straße 13 zeigten zwölf Münchner Künstler Videoinstallationen, darunter auch Barbara Hamann und Wolfgang Flatz. Die Installation des proT erwies sich als aufwändig, denn sie konnten nicht anders, als mit dem ganzen Theater anzurücken. Ihr Kunst-Video hing an der Produktion Münchner Volkstheater oder umgekehrt: Das Theater hing am Kunst-Video, umso mehr, als es davon seine Einsätze bezog. Wie oben erwähnt, führte bei diesem Stück das Video Regie.
Im Gespräch mit dem Magazin Videokontakt antwortete Sagerer auf die Frage nach der Grenze zwischen den Genres: „Alles, was ich mache, fällt unter den Begriff ‚Theater‘. Das Theater ist die einzige unbegrenzte Kunst, vom Material her eigentlich überhaupt nicht definierbar. Alles, was unter dem Namen ‚Theater‘ passiert, wird Theater. Wenn man Film im Theater einsetzt, ist es kein Film mehr, sondern…mehr
aus dem Buch: Alexeij Sagerer – liebe mich, wiederhole mich

Thema
Die Puppen des Francisco Sanz Baldoví
von Theresa Eisele
Sie winken, rauchen, sprechen und klimpern mit den Wimpern: Die mechanischen Puppen des spanischen Varietékünstlers Francisco Sanz Baldoví begeisterten in den 1910er Jahren durch ihren menschenähnlichen Bewegungsapparat. Auf ihrer Tournee über die Iberische Halbinsel forderten sie die Kirchenlehre von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen heraus und sorgten für einen handfesten Skandal. Rückblick auf eine Hybris.
Der Skandal begann zwei Tage nach dem Auftritt. Einige Damen, so berichteten Journalisten später, hätten sich über Francisco Sanz Baldoví und Pepito beschwert. Am 26. Oktober 1911 hatten sie den Salón Doré in Barcelona besucht und dort den Künstler mit seiner mechanischen Puppe auf der Bühne erlebt. Sanz (1872–1939) tourte zu diesem Zeitpunkt bereits als gefeierter Bauchredner und Figurenspieler durch Spanien, trat in Cafés, Salons und Varietés mit Gitarre und anekdotischen Erzählungen auf, vor allem aber war er durch seine „familia mécanica“ auf der Halbinsel berühmt geworden. Diese „mechanische Familie“ umfasste zeitweise bis zu 25 lebensgroße Automatenpuppen, deren Stahlskelett und Automatismen Sanz mit entwarf. Unter ihnen: Pepito, eine Kinderpuppe im Matrosenanzug und mit weißem Schultertuch. Für den Auftritt im Salón Doré kleidete sich auch der Künstler im Anzug und setzte wohl, wie schon einige Male zuvor, Pepito auf seine Knie. So konnte Sanz die Puppe mit der rechten Hand an der Spielmechanik am Rücken steuern, während er gleichzeitig für sie…mehr
aus der Zeitschrift: double 33
von Timon Beyes
Im Netz des GeheimnissesDen Kopfhörer aufgesetzt, werde ich von der Stimme des menschlichen Erzählers in der Münchener Glyptothek herzlich willkommen geheißen. „Gleich wirst du dich ins Netz der Geheimdienste begeben, mit deinem Körper.“ – „Aber nur ich werde immer wissen, wo du dich befindest“, ergänzt die andere, computergenerierte Erzählerinnenstimme etwas bedrohlich. Sie lotst mich zu einer antiken Skulptur, „Der Knabe mit der Gans“, und fragt, ob es sich bei dem Dargestellten um Spiel oder Kampf handele. Damit ist der Rahmen von Top Secret International (Staat 1) abgesteckt: Geheimhaltung und Überwachung, Kampf und Spiel. Eingetaucht in Geschichten und Stimmen eines globalen Geflechts aus Überwachungstechnologien und Spionagepraktiken, Sicherheitsfirmen und Geheimnisträgern, klandestinen Operationen und Konflikten, eröffnet sich eine Welt jenseits öffentlicher Sichtbarkeit, demokratischer Partizipation und, so erfährt man, zu guten Teilen jenseits parlamentarischer Aufsicht.
Mit dieser Rahmung besteht ein Bezug zur Diagnose postdemokratischer Zustände, wie sie Colin Crouch (2008) vorgenommen hat: Die wichtigen Entscheidungen würden in postdemokratischen Zeiten zusehends im Verborgenen und hinter geschlossenen Türen gefällt, während öffentliche Debatten zum bloßen Spektakel der Ablenkung verkämen. Geheimhaltung zentraler wirtschafts-, sozial- und sicherheitspolitischer Weichenstellungen bei gleichzeitiger Ruhigstellung und Überwachung der Bevölkerung, so ließe sich der…mehr
aus dem Buch: Rimini Protokoll: Staat 1–4
Ein Erklärungsversuch
von Christoph Maurer und Peter Zizka
Das „Crossing Lines Project“ verfügt über eine Vielzahl inhaltlicher und geografischer Positionen, an deren Schnittpunkten eine ebenso diverse Bühnenaktion stattfindet. Der Nukleus der Aktion, PAN.OPTIKUM, ist zudem eine bedeutungsschwangere Wortkonstruktion: Laut Thesaurus rangeln hier Begriffe wie Synthese, Zusammenschau, Zusammenfügung und Vermittlung um die Wette. Für Gestalter, die schon früh den Satz „Design ist nicht demokratisch“ als DNA mit auf den Weg bekommen, ist die Suche nach einer passenden Strategie zur kollektiven Erstellung eines Aktionsreliktes folgerichtig nicht gerade einfach. Ich verstehe deshalb den einen oder anderen, der sich fragt, was denn eine egomane Position von Designern oder bildenden Künstlern im Rahmen eines gemeinschaftlich ausgerichteten europäischen Jugend-Tanz-Theater-Projektes zu suchen hat. Anders als noch in den 1970er Jahren sind gegenwärtig synergetische Innovationen zwischen Bühne und intentionaler Grafik Mangelware. Im Universum der darstellenden Kunst fallen Kommunikationsaufgaben heutzutage in der Regel sehr zweckgerichtet und funktional aus: Die Zeiten, in denen das Grafikdesign von Opern- oder Schauspielhäusern mit experimenteller Typografie und mutigen Bildwelten um die Gunst der Zuschauer warben, scheinen im celebrity- und bildergläubigen Medienzeitalter keine Rolle zu spielen. Doch die visuelle Krise ist auch eine hausgemachte Designsuppe, die durch den Gebrauch von zu viel geschmäcklerischer Gestaltungswürze entstanden…mehr
aus dem Buch: Power of Diversity
von Hans-Thies Lehmann
Es gehört keine besondere Prophetengabe dazu, ein erneuertes Interesse an Brecht in den kommenden Jahren vorherzusagen. Zum einen rückt der 70. Todestag des Dichters näher, sodass vom 1. Januar 2027 an Brecht „frei“ sein wird. Auch wenn die Zulassungspolitik der Erben schon etwas nachgiebiger geworden ist, lässt sich vorhersehen, dass ein unvoreingenommener Blick auf Brecht jenseits der orthodoxen Rezeption auf dem Wege ist.
Zum anderen ist gesellschaftlich und politisch viel in Bewegung geraten. Die politische Mentalität hat sich verändert. Neue politische Fronten sind aufgetaucht, eine verschärfte Kritik und Selbstkritik der (westlichen) Demokratien verbindet sich mit dem Gefühl, dass die eigene Verantwortung Europas und des Westens für die Katastrophen im Süden der Welt verleugnet wird. In dieser veränderten Lage tritt immer deutlicher hervor, dass längst vergessene Kategorien wie Kapital und Geldzirkulation, Bankenmacht und Ausbeutung wieder aktuell klingen. Das verbliebene Restvertrauen in die sogenannten Eliten ist mehr oder minder ruiniert. Immer weniger akzeptieren die Menschen die Tatsache des obszönen Reichtums einer kleinen Gruppe, der für diese eine unfasslich große Macht bedeutet, die keinerlei Kontrolle oder Legitimität unterliegt. Weltweit ist zu beobachten, dass die Formen der Repräsentation in die Krise geraten sind. Immer öfter geben große Menschenmassen auf den Straßen ihren Forderungen Ausdruck. Nicht undenkbar, dass die Empörung über einzelne Auswüchse…mehr
aus dem Buch: Brecht lesen
von Gerhild Fuchs und Sabine Schrader
Die zeitgenössische Theatergeschichtsschreibung hat in Anlehnung an Michel Foucaults Überlegungen zur Geschichtsschreibung immer wieder darauf hingewiesen, dass die europäische Theatergeschichte voller Widersprüchlichkeiten ist und keinem linearen, evolutionären Modell folgt1, auch wenn manche Theatergeschichten für sich in Anspruch nehmen, eine solche Entwicklung nachzeichnen zu können. In Italien gestaltet sich die Komplexität auch räumlich, denn während in Frankreich der Theaterbetrieb spätestens ab dem 17. Jahrhundert mehrheitlich zentral organisiert in der Hauptstadt stattfindet, verteilen sich in Italien die Theateraktivitäten – wie alle anderen Kunstaktivitäten – geographisch breit gestreut. Es existieren somit sehr unterschiedlich gelagerte Kultur- und Theaterzentren, abhängig zum einen von den regionalen bzw. sprachlichen Traditionen und zum anderen vom politischen System. Es ist Ludovico Zorzi zu verdanken, erstmals in einer Kulturgeschichte des Theaters die heterogenen Traditionen und Entwicklungen der einzelnen Städte bzw. Fürstentümer herausgearbeitet zu haben.2 Aber auch die einzelnen Städte bzw. Höfe verfügen mitnichten über ein geschlossenes, geschweige denn institutionalisiertes Theatersystem, wie Raimondo Guarino am Beispiel von Venedig dargelegt hat.3
Das vorliegende Buch präsentiert die Theatergeschichte Italiens in ihrer Vielfalt und dient Studierenden wie Interessierten als Einführungslektüre. Der Schwerpunkt wird auf den Zeitraum vom späten 15. bis…mehr
aus dem Buch: Italienisches Theater
Bert Neumann über dem Marketing unterworfene Produktionsprozesse
von Ute Müller-Tischler und Bert Neumann
Bert Neumann, Sie haben immer wieder gesagt, dass Sie sich als bildender Künstler verstehen, weil Sie ohne künstlerische Freiheit nicht arbeiten können. Wie kommt es, dass Sie dann doch am Theater gelandet sind?
Tatsächlich habe ich mein erstes Engagement am Stadttheater, das war direkt nach dem Studium, vorzeitig beendet. Ich fühlte mich da fehl am Platz, unfrei, und habe mich auf die Suche nach Alternativen gemacht. Es hat dann einige Jahre gedauert, bis das Angebot mit der Berliner Volksbühne kam. Da konnten wir selbst die Regeln bestimmen, das war ein völlig anderes Gefühl als an anderen Theatern. Das war ein einmaliger Freiraum, verbunden mit Produktionsbedingungen, die mir der Kunstmarkt nicht hätte bieten können.
Wie war es damals, als Frank Castorf Sie an die Berliner Volksbühne geholt hat und Sie zusammen den Theaterbegriff erweitert und so etwas wie eine ästhetische Wende eingeführt haben?Der Vorgang, dass wir da ein Theater bekommen haben, ohne uns darum beworben zu haben, ohne Lobby und dickes Telefonbuch, so was wäre heute nicht mehr denkbar. Das hatte mit der politischen Situation zu tun, auch mit der Sekunde Unordnung, wenn ein System zusammenbricht. Und mit einer Kulturpolitik, die sich noch auf Risiken einlassen wollte.
Es gab da einen Moment der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten in der ganzen Stadt, billige Mieten und damit Räume für Unabhängigkeit. Die Beschwörung dieses Gefühls ist heute nur noch als Bestandteil von Standortmarketing existent. Und…mehr
aus dem Buch: Bild der Bühne, Vol. 2 / Setting the Stage, Vol. 2
Challenges for Movements and the Left
von Dimitra Siatitsa
1. Introduction
Especially since 2008, housing has emerged once again as a key terrain of contradiction and conflict. The field is very much related to the roots of the global financial crisis (especially due to the scale of housing finance); however, it is also one of its most dramatic consequences and of particular strategic importance to the processes of capital recovery (Harvey, 2012). The abrupt destabilization of previous welfare and societal arrangements that provide housing for the vast majority creates a momentum of deeper understanding and questioning of the contradictions expressed through housing – between commodity and human right, and between exchange and use value (Harvey, 2014). In such a moment, previous perceptions and certainties are reviewed. Discussions about alternative ways of providing affordable and decent housing are generated as demands for public intervention and alternative solutions become more widespread (Marcuse, 2009; Hodkinson, 2012).
The housing question returns in more and more contexts. All over Europe, in terms of housing, precariousness and deprivation are escalating. The growing number of arrears, repossessions, and evictions as well as increasing homelessness illustrates this. Although housing is a contextually-determined and path-dependent field, local housing markets and systems have become more and more interconnected due to processes of financialization (Martin 2011), the involvement of global actors, and the prevalence of…mehr
aus dem Buch: Urban Austerity
von Erika Fischer-Lichte
Der Titel des Buches, das die grundlegende programmatische Schrift des griechischen Regisseurs Theodoros Terzopoulos einem deutschen Publikum vorstellt, verkündet die Rückkehr des Dionysos. Was ist damit gemeint? Kehrt der antike Gott des Theaters endlich wieder in seine angestammte Sphäre, das Theater, zurück und betritt damit zugleich unsere megamoderne, superdigitalisierte Welt? Zielt diese Rückkehr auf die Wiederherstellung eines früheren Zustandes oder auf eine radikale Erneuerung?
Im Laufe des 20. Jahrhunderts sind wiederholt Theaterkünstler mit dem Anspruch aufgetreten, Theater ganz neu zu bestimmen und es von Grund auf zu verändern. Die Theaterreformer um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, die verschiedenen Avantgardebewegungen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, die Vertreter der sogenannten Neoavantgarde oder Postmoderne seit den 1960er Jahren und seit den 1990er Jahren die Verkünder ganz unterschiedlicher neuer Theater- und Performanceformen, sie alle eint das Ziel, ein neues Theater zu schaffen, das den spezifischen Bedingungen ihrer Zeit Rechnung zu tragen vermag. In einigen Fällen sollte dieses Ziel dadurch erreicht werden, dass der Schauspieler ins Zentrum treten und eine neue Schauspielkunst entwickeln sollte. Dies gilt für Meyerhold und seine Biomechanik ebenso wie – wenn auch auf ganz andere Weise – für Grotowski und seinen „heiligen Schauspieler“. In keinem Fall jedoch wurde sich dabei so dezidiert auf Dionysos berufen, wie Terzopoulos es…mehr
aus dem Buch: Die Rückkehr des Dionysos
Die MusikTheaterStadt HETEROTOPIA in der Oper Halle
von Florian Lutz
Als ich im August 2016 gemeinsam mit Veit Güssow und Michael v. zur Mühlen als neues künstlerisches Leitungsteam an der Oper Halle anfing und nach Jahren der freischaffenden Regiearbeit zum ersten Mal die Möglichkeit hatte, als Intendant die künstlerische Programmatik und Ausgestaltung eines Spielplans zu konzipieren, schwebte mir ein neues Musiktheater der Inhaltlichkeit, der Zeitgenossenschaft und der gesellschaftlichen Relevanz vor. Es sollte zugleich so mitreißend und erlebnisreich sein, dass es die Oper Halle auch für die vielen Menschen in der Stadt öffnen würde, die sich bislang nicht für das Haus interessiert hatten. Aus diesem Wunsch heraus entstand die Idee einer Raumbühne als Ort für eine spartenübergreifende Saisoneröffnung, die sich über die Zeit unserer Vorbereitungen immer weiter entwickelte, bis sie schließlich Wirklichkeit wurde: Am 23. September 2016 begannen die Spielzeit 2016/17 und die neue Intendanz der Oper Halle mit einem außergewöhnlichen zweiwöchigen Eröffnungsfestival, an dem sich auch das Ballett Rossa, das neue theater, die Staatskapelle Halle sowie Gastkünstler aus aller Welt mit zahlreichen Stücken, Projekten und Konzerten der unterschiedlichsten Genres beteiligten.
Auf der großen Bühne der Oper Halle öffnete dafür die weitläufige MusikTheaterStadt HETEROTOPIA ihre Pforten. Vom überbauten Parkett über eine begehbare Großstadt auf der Hauptbühne bis in die entlegensten Winkel der Hinter- und Seitenbühne wuchs fortan eine Raumbühnen-Landschaft…mehr
aus dem Buch: RAUMBÜHNE HETEROTOPIA
Eine Nabelschau der Masters of the Universe mit Charly Heidenreich (16), Philipp Karau (37), Annika Prevrhal (14), Anton Prevrhal (16), Mark Schröppel (36) und Jasmin Taeschner (13)
von Charly Heidenreich, Philipp Karau, Annika Prevrhal, Anton Prevrhal, Mark Schröppel und Jasmin Taeschner
Einladen und Kennenlernen
Mark Schröppel _ Bevor wir mit MOTU anfingen, hatten Philipp und ich 2011/12 bereits zwei Kinderstücke gemacht: „Der Fischer und sein Mann“ für die Education-Abteilung der Duisburger Philharmoniker und „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ auf Kampnagel. Wir hatten beide Male Kinder aus dem Publikum live auf der Bühne. Was mir damals gut gefallen hat, war diese besondere Energie, die diese Kinder erzeugt haben – und wie diese wahrgenommen wurde. Die Stücke waren teilweise grenzüberschreitend: Es wurde gemeinsam Krieg gespielt, Kinder lagen als Verletzte verkleidet auf der Bühne. Dadurch habe ich gelernt, dass man mit Kindern auf der Bühne viel mehr machen kann, als man eigentlich denkt. Wir haben ein brachliegendes Potenzial erkannt.
Philipp Karau _ Eine weitere Entdeckung war, dass die Art, wie wir Kindertheaterstücke gemacht haben, auch immer eine Ebene für Ältere miterzählt hat. Umgekehrt kam das, was uns an „Erwachsenentheater“ gut gefällt, auch bei den Jüngeren an. Wir haben gemerkt, dass der Weg von den „Erwachsenenstücken“, die wir vorher gemacht haben, zu sogenannten Kinderstücken gar nicht so weit war und dass man diese Unterscheidung gar nicht so stark machen muss. So ist der Wunsch gewachsen, für ein altersgemischtes Publikum zu produzieren. Gleichzeitig wollten wir dabei die Perspektiven der Kids stärker einbeziehen und haben nach jungen Kolleg*innen Ausschau gehalten, mit denen wir kooperieren können. Wir sind es gewohnt,…mehr
aus dem Buch: Masters of the Universe
An introduction to the contemporary circus
von Franziska Trapp
Allow me to begin this article with a question[i]: What are your first associations when you hear the word “circus”? I don’t have magical abilities, but let me try and read your mind anyway: a tent, a clown, a lion with its mouth wide open, a trapeze artist. Now I would like to pose a second question: have you been to the circus this year? Even if you replied “no”, you probably had a clear idea of what circus is – certainly that was the case with the passers-by, students, theatregoers and academics with whom I’ve been conducting this brief mental exercise in recent years. What’s more, many of them have never been to the circus. Associations with motifs such as the tent, the clown, the (wild) animal and the trapeze artist, it can be assumed, do not arise from experience with the empirical genre, but rather from its reception. Idioms such as “stop clowning around” and “not my circus, not my monkeys” have long been part of our everyday language; in the Trump era, the New York Times criticised the “foreign policy circus”[ii]; Ferrero entered into a cooperation with German circus troupe Roncalli for a national marketing campaign; Madonna dedicated one of her songs to the circus; toys, children’s books and clothing are adorned with circus emblems. In short, the circus is omnipresent right now.
But the common element in the reception of the circus in literature, pop culture, music and advertising is the recourse to the “heyday of […] arena performance in the late 19th and early…mehr
aus dem Buch: Circus in flux
von Frauke Adesiyan
Ungekannte Herzlichkeit
Auf einmal war es da. Das Ei auf zwei Füßen, das sich in ausgelatschten Turnschuhen durch Frankfurt vortastete. (Schautafel 1) Und nicht nur in den Straßen der Stadt an der Oder tauchte es im Herbst 2015 auf, auch in den Frankfurt- Gruppen auf Facebook waren bald die ersten Fotos zu sehen. Das Rätselraten der Netzgemeinde begann: Was ist denn das? Spätestens zu diesem Zeitpunkt war es selbstredend Aufgabe der Lokalreporterin, der Spur zu folgen. Schnell führte die Suche ins Kleist Forum. Hier, so erzählte man sich, soll das Ei gelegt worden sein. Von einer freien Künstler*innengruppe namens Club Real, die, bezahlt von der Bundeskulturstiftung, zwei Jahre lang ausloten soll, welche neuen kulturellen Formen möglich sind in dieser Stadt.
In einem der vielen Büros des Kleist Forums, die von langen, ruhigen Fluren abgehen, traf die Reporterin zwei Mitglieder von Club Real zum ersten Mal: Marianne Ramsay-Sonneck und Georg Reinhardt. In schönstem Wienerisch erzählten die beiden auf der Tischkante hockend von ihren künstlerischen Grundsätzen: der Offenheit, der Teilnahme, dem Einebnen vom Gegensatz zwischen Akteur*in und Rezipient*in. Die Reporterin staunte. Solche Gedanken in diesem Haus, das waren neue Töne. Die Künstler*innen strahlten vor allem Neugier aus, Offenheit und Lust, sich unvoreingenommen in diese Stadt zu begeben. Und die Ei-Exkursionen funktionierten. Strahlend berichtete Marianne Ramsay-Sonneck: „Die Frankfurter*innen nehmen es so nett auf,…mehr
aus dem Buch: Partizipation Stadt Theater
Eine Einführung in den Zeitgenössischen Zirkus
von Franziska Trapp
Ich erlaube es mir, diesen Artikel mit einer Frage zu beginnen[i]: Was sind Ihre ersten Assoziationen, wenn Sie das Wort ‚Zirkus‘ hören? Trotz mangelnder magischer Fähigkeiten wage ich die Telepathie: Ein Zelt, ein Clown, ein Löwe mit weit aufgerissenem Maul, eine Trapezkünstlerin. Nun möchte ich Ihnen eine zweite Frage stellen: Waren Sie in diesem Jahr bereits im Zirkus? Auch für den Fall, dass Sie dies verneinen, hatten Sie sicher gerade eine klare Vorstellung davon, was Zirkus ist – so zumindest erging es den Passant:innen, Studierenden, Theaterbesucher:innen und Wissenschaftler:innen, mit denen ich in den letzten Jahren dieses kurze Gedankenspiel durchgeführt habe. Mehr noch: Viele von ihnen waren noch nie im Zirkus. Die Motiv-Assoziationen wie das Zelt, der Clown, das (wilde) Tier, und die Trapezkünstlerin, so ist anzunehmen, entstammen also nicht den Erfahrungen mit dem empirischen Genre, sondern vielmehr dessen Rezeption. Redensarten wie „Mach keinen Zirkus“[ii] oder im englischen Sprachraum „Not my Circus, not my Monkeys“ sind längst Teil unserer Alltagssprache; in Zeiten von Trump kritisierte die New York Times den „Foreign Policy Circus“[iii]; Ferrero kooperiert in einer deutschlandweiten Marketing-Kampagne mit Roncalli; Madonna widmet dem Zirkus einen eigenen Song; Spielzeug, Kinderbücher und -kleidung sind gespickt mit Zirkusemblemen. Kurz: Zirkus ist gegenwärtig omnipräsent. Was aber die Rezeption des Zirkus in beispielsweise der Literatur, der Pop-Kultur, Musik…mehr
aus dem Buch: Circus in flux
Thomas Bärnthaler und Malte Herwig besuchen Frontex. Gespräch am 3. Oktober 2015
von Thomas Bärnthaler, Jens Bisky und Malte Herwig
Bisky: Bemühen Sie sich ein wenig zu erfahren, was Sie nie wissen können – den Satz haben wir gerade in der Aufführung gehört. Nun wollen wir es versuchen. Ich freue mich, mit zwei erfolgreichen Kollegen sprechen zu können: Malte Herwig hat einige Bücher geschrieben, darunter eines über die Flakhelfergeneration und eine Peter- Handke-Biographie. Thomas Bärnthaler arbeitet seit vielen Jahren im Magazin der Süddeutschen Zeitung. In diesem Magazin haben die beiden im Juli des vergangenen Jahres eine Reportage über die Agentur Frontex veröffentlicht. Frontex ist eine Abkürzung des französischen Terminus für Außengrenzen. Die offizielle Bezeichnung werde ich mir wahrscheinlich bis ans Ende meines Lebens nicht merken können, die lautet nämlich „Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union“. Sie merken, zweimal europäisch, darüber werden wir dann noch reden müssen. Es handelt sich um eine Behörde. Nach meinen Erfahrungen im Umgang mit Behörden würde ich sagen, sie neigen alle, selbst wenn es dabei nicht um Leben und Tod geht, dazu, immer mal wieder Anfälle von nordkoreanischer Informationspolitik zu bekommen. Wie kompliziert, Herr Bärnthaler, ist es, einen Termin bei Frontex zu bekommen? Haben Sie da einfach angerufen und die haben gesagt: Ja, klar, kommen Sie mal vorbei?
Bärnthaler: Erstaunlicherweise war es tatsächlich so. Ich hab mir das auch schwieriger vorgestellt. Die Flüchtlingsproblematik ist ja nicht…mehr
aus dem Buch: Du weißt ja nicht, was die Zukunft bringt