
Thema
Überlegungen zur neuen Präsentation der Puppentheatersammlung Dresden
von Kathi Loch
Ende 2022 wird die Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) ihr neues Domizil in einem ehemaligen Heizkraftwerk in der Dresdner Innenstadt beziehen und voraussichtlich ab Herbst 2023 dort Ausstellungen präsentieren. Dr. Kathi Loch betreut als Projektleiterin alle kreativen, kommunikativen und organisatorischen Prozesse rund um diesen Umzug und fragt, inwiefern der „Neustart“ genutzt werden kann, um vielfältige Barrieren abzubauen.
Die Zukunft verspricht Sichtbarkeit und Zugänglichkeit: In der Südfassade des „Lichtwerks“ im Dresdner Kulturareal „Kraftwerk Mitte“ klafft ein Tor von fast sieben Metern Breite und zehn Metern Höhe, ursprünglich verschlossen durch eine bewegliche Stahlwand. Diese wurde inzwischen herausgefahren und an ihrer Stelle werden bald eine große Glasfront und, auf Straßenniveau, ein Windfang eingebaut. Das Portal am neuen Standort: monumental, transparent, nicht zu übersehen. Das sind also gute Aussichten für eine Sammlung, von der in den letzten Jahren nur Bruchteile der Öffentlichkeit präsentiert werden konnten. Doch ist es mit einer willkommen heißenden Eingangssituation schon getan?
Barrierearmut in Architektur und Ausstellung
Es wäre schön, wenn die Puppentheatersammlung im Kraftwerk Mitte ein inklusiver Ort mit möglichst wenigen Barrieren sein könnte. Aber machen wir uns nichts vor: Barrierefreiheit ist eine Utopie und selbst die Schaffung von Barrierearmut wird für uns Planer*innen, Gestalter*innen,…mehr
aus der Zeitschrift: double 43
(Küssende Fernseher)
von Ralph Hammerthaler
Ende Oktober 1981 war das proT erstmals in einer großen Ausstellung zu sehen. Für ein Theater mag das ungewöhnlich erscheinen, nicht so aber für das proT, denn Sagerer fühlte sich bildenden Künstlern oft enger verbunden als Theatermachern. Schon sein früher Komplize von Hündeberg war Maler. Nikolai Nothof und Karl Aichinger, beide als Schauspieler im Ensemble, fingen in den 1970er Jahren an zu malen und stellten ihre Bilder im Kellertheater aus. Bei Aktionsabenden des proT lösten sich die Grenzen der Genres ohnehin auf. Dafür, dass sich die Kontakte zur Kunstszene vertieften, sorgte nun Brigitte Niklas. In der Künstlerwerkstatt Lothringer Straße 13 zeigten zwölf Münchner Künstler Videoinstallationen, darunter auch Barbara Hamann und Wolfgang Flatz. Die Installation des proT erwies sich als aufwändig, denn sie konnten nicht anders, als mit dem ganzen Theater anzurücken. Ihr Kunst-Video hing an der Produktion Münchner Volkstheater oder umgekehrt: Das Theater hing am Kunst-Video, umso mehr, als es davon seine Einsätze bezog. Wie oben erwähnt, führte bei diesem Stück das Video Regie.
Im Gespräch mit dem Magazin Videokontakt antwortete Sagerer auf die Frage nach der Grenze zwischen den Genres: „Alles, was ich mache, fällt unter den Begriff ‚Theater‘. Das Theater ist die einzige unbegrenzte Kunst, vom Material her eigentlich überhaupt nicht definierbar. Alles, was unter dem Namen ‚Theater‘ passiert, wird Theater. Wenn man Film im Theater einsetzt, ist es kein Film mehr, sondern…mehr
aus dem Buch: Alexeij Sagerer – liebe mich, wiederhole mich

Look Out
Das Bochumer Kollektiv Anna Kpok befragt die Welt mittels digitaler Verfremdung
von Sascha Westphal
Der Lockdown macht gezwungenermaßen erfinderisch. Wenn wir schon nicht in einem Saal zusammenkommen können, dann müssen andere Wege beschritten werden, um ein Gefühl von Gemeinschaft zu erzeugen. Einen faszinierenden Weg, das zu erreichen, hat das freie Theaterkollektiv Anna Kpok mit der Online-Gaming-Performance „Anna Kpok und die Dinge aus einer anderen Zeit“ gefunden. Entstanden im ersten Lockdown im Frühjahr 2020, ermöglicht dieses zuletzt über die Schaubude Berlin präsentierte Text-Adventure sechs Spielerinnen und Spielern, die sich in einer Zoom-Konferenz treffen, die Detektivin Anna Kpok auf ihrem Weg durch ein weitgehend verlassenes Mülheim an der Ruhr zu navigieren.
Die sechs Teilnehmerinnen, die jeweils in Zweierkonstellationen gemeinsam spielen, tauchen mittels der Texte, die auf ihren Bildschirmen erscheinen und zugleich von einer Frauenstimme vorgetragen werden, in eine surreale Welt ein, die ebenso an Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ wie an klassische Science-Fiction-Storys erinnert. Wie bei den in den 1980ern populären interaktiven „Spielbüchern“ müssen die Spielerinnen und Spieler bei „Anna Kpok und die Dinge aus einer anderen Zeit“ entscheiden, welchen Weg sie für ihre Heldin wählen. Jede Entscheidung fächert die Geschichte weiter auf und beleuchtet einen weiteren Ausschnitt des Spielkosmos, den man doch nie ganz erkunden kann.
Da immer zwei Personen gemeinsam entscheiden müssen, entwickelt das Spiel noch eine weitere Dimension. Es entsteht ein…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 3/2021

Look Out
Das Berliner Duo cmd+c durchleuchtet mit den Mitteln der „Transkunst“ Themen wie Machtmissbrauch im Theater
von Paula Perschke
cmd+c [Marina Prados (l.) und Paula Knüpling]. Foto: Lilli Emilia.
2019 sprüht eine unbekannte Person auf eine Mauer der Garnisonkirche in Potsdam ein Graffiti, auf dem eine Frau die Sterne der EU verwischt. Kurz darauf wird die Performerin Paula Knüpling wegen „Hausfriedensbruch“ und „Zerstörung öffentlichen Eigentums“ verhaftet. Eine wahre Geschichte?
Für das Berliner Künstlerinnenduo cmd+c jedenfalls ist sie eine perfekte Vorlage, um daraus einen Theaterabend zu entwerfen, der schließlich als eine Art Lecture Performance unter dem Titel „Single Lives As Single Wants“ an der Berliner Schaubude zu sehen war. „Man kann die Kunst nicht von der Künstlerin trennen“, sagt Paula Knüpling mit Überzeugung. Gemeinsam mit ihrer Partnerin Marina Prados bildet sie die Theaterkompanie cmd+c, welche nach Grenzen von Fiktion und Realität, nach persönlichen Erfahrungen und Lebensutopien sucht. Das junge Künstlerinnenpaar lernte sich 2016 im Jugendtheater der Berliner Volksbühne P14 kennen. Der Funke sprang schnell über – im Privaten wie auch in Bezug auf das gemeinsame Verständnis von Kunst. Knüpling wurde 1995 in Berlin geboren und war bislang als Schauspielerin an der Volksbühne zu erleben (unter anderem in „Die 120 Tage von Sodom“ in der Regie von Johann Kresnik sowie bei P14). 2019 debütierte sie mit einer Hauptrolle im Spielfilm „Heute oder morgen“ (Regie Thomas Moritz Helm). Prados wurde 1994 in Barcelona geboren und studierte dort Schauspiel an der Escola Superior d’Art…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 3/2021

Magazin
Das digitale Brechtfestival 2021 in Augsburg stellt die Frauen in den Vordergrund, die zeitlebens mit Bertolt Brecht gearbeitet haben
von Christoph Leibold
„Ich glaube, dass Du ein wenig betrübt bist, weil auf dem Theater nichts los ist“, schrieb Bertolt Brecht 1933 aus der Schweiz an Helene Weigel. Die Nazis hatten die Macht ergriffen, Brecht ging ins Exil. Heute sorgt Corona für Betrübnis, dass auf dem Theater nichts los ist. Für das Augsburger Brechtfestival 2021 lasen Charly Hübner und Lina Beckmann ausgewählte Passagen aus dem Briefwechsel zwischen Brecht und Weigel, vorzugsweise Texte, die in pandemischen Zeiten aufhorchen ließen. Da gibt es Erheiterndes, etwa wenn sich Brecht Zigarren der Marke Corona wünscht oder wenn er in der Schweiz aus Carona (!) schreibt, aber vor allem Ernstes, wenn er berichtet, wie ihn eine Grippe plagt oder Helene Weigel Bedenken wegen seiner Nähe zu Margarete Steffin anmeldet. Neben Eifersucht dürfte sie dabei die Sorge vor einer Ansteckung umgetrieben haben. Steffin litt an TBC.
„HelliBert und PandeMia“ hieß der Festivalbeitrag von Beckmann/Hübner, ein gut halbstündiger Film, in dem das Schauspielerehepaar die Korrespondenz aus dem Off vorträgt, in nüchternem Chronisten-Ton, dazu laufen Bilder (von Hübner selbst schwarz-weiß gedreht und mit Flackereffekten auf historische Anmutung getrimmt) aus dem winterlich verwaisten Hamburg. Nix los im Lockdown, nirgends. Auch nicht im Deutschen Schauspielhaus, wo Beckmann und Hübner engagiert sind und auf das die Kamera aus wehmütiger Distanz blickt.
Es ist ein bisschen heikel, wie hier die Verbannung heutiger Kulturschaffender von ihren…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2021

Künstlerinsert
Das Staatstheater Augsburg erfindet bahnbrechende VR-Theater-Welten – Ein Hausporträt
von Christoph Leibold
Wie stößt man vor in unbekannte Dimensionen? Zum Beispiel in die Unterwelt, aus der noch kein Mensch zurückgekehrt ist, weshalb auch niemand aus eigener Anschauung berichten kann? Literaten hat das über die Jahrhunderte nur umso stärker beflügelt, sich diesen Ort in leuchtendsten Farben auszumalen. Man denke nur an Dantes Inferno. Aber wie stellt man Hades, Hölle oder auch Himmel auf dem Theater dar, ohne dass es nach Kinderfasching oder Geisterbahn aussieht? André Bücker, Intendant am Staatstheater Augsburg, hat im vergangenen Herbst Christoph Willibald Glucks Oper „Orfeo ed Euridice“ inszeniert, die mythische Geschichte von Orpheus, der seine Geliebte aus dem Jenseits zurückholen will. Um diesen Trip für sein Publikum eindrücklich zu gestalten, arbeitete Bücker mit Virtual-Reality-, kurz VR-Brillen, die Bewegtbilder zeigen, in denen man sich umschauen kann: 360 Grad einmal komplett um die eigene Achse, aber auch nach oben oder unten. Die Brillen wurden unter den Sitzen deponiert, die Zuschauer dazu aufgefordert, sie an den entsprechenden Stellen in der Handlung aufzusetzen, um so als „Wanderer fremde Welten staunend zu durchstreifen“, wie Bücker es beschreibt.
Die erste Etappe führte durch eine dystopische Stadtszenerie, es folgte das Elysium, hier eine Art Fantasy-Wellnesslandschaft, ehe bei der dritten Station das Idyll ironisch gebrochen wurde. Die VR-Technik ermöglichte ein Theatererlebnis, das ebenso wenige Grenzen kennt wie die schriftstellerische Fantasie – für…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2021
Bettina Meyers Bühnenräume
von Judith Gerstenberg
Ihre Bühnen beschreiben? Bettina Meyer wehrt sich, spricht ungern darüber, vermeidet Interviews, in denen sie ihre Arbeit erklären soll. Es ist nicht wahr, dass alles in Worten gedacht wird, gerade die inneren Vorstellungsbilder decken sich nicht mit der Sprache. Ideen, die sich in ihrem Kopf einstellen, formuliert sie mit den Händen aus. Empfindungen, Fragestellungen, die ein Text oder Stoff aufwirft, Aufgaben, die der Aufführungsort ihr stellt, lassen sie – so sagt sie selbst von sich – zu einem 3-D-Drucker werden. Von Beginn an arbeitet sie ins Modell. Es ist ein eigener künstlerischer und handwerklicher Prozess, der sich da in Gang setzt. Unbewusstes spielt hinein, das motorische Gedächtnis formt und zeichnet, spielt mit Materialien, so lange, bis sich langsam ein Verstehen einstellt. Darum ist die Arbeit am Modell für diese Bühnenbildnerin fundamental. Digitale Hilfsmittel für die Entwürfe lehnt sie ab. Die Umsetzung ihrer Kopfbilder erfolgt in erster Linie haptisch. Selbst die Spielerinnen und Spieler eines Stücks gehen durch ihre Hände. Keine Figürchen aus dem handelsüblichen Modellbaukasten dienen zur Überprüfung der Wechselwirkung zwischen Figur und Raum, sondern typengenaue Ganzkörperporträts der Besetzung, die sie aus Styropor schnitzt.
Die Arbeit im Atelier ist nicht nur notwendiges Werkzeug einer Entwurfsphase, sondern spiegelt Bettina Meyers Selbstverständnis als Künstlerin wider. Sie will an einem geschützten Ort die Welt auseinandernehmen und erneut…mehr
aus dem Buch: Bettina Meyer – EINS ZU FÜNFUNDZWANZIG / ONE TO TWENTY FIVE
Der junge Schauspieler, Regisseur und Dramatiker David Gaitán über die Suche nach Protestzielen in Theater und Gesellschaft
von David Gaitán und Ilona Goyeneche
David Gaitán, Sie sind ausgebildeter Schauspieler, aber auch ein hervorragender Autor und Regisseur. Wie arbeiten Sie in diesem Dreiklang?
Diese Frage wird mir in Interviews oft gestellt, und ich antworte immer, dass ich am liebsten spiele. Die Regie und das Schreiben kamen als Vorwand hinzu, um auf der Bühne stehen zu können, als persönliche Forschungsreise und als Versuch, mich in diesem Bereich akademisch fortzubilden. Trotzdem steht die mexikanische Theaterlandschaft einer Bewegung zwischen diesen drei Bereichen tendenziell abwertend gegenüber. Man wird misstrauisch, wenn ein Schauspieler anfängt zu schreiben oder Regie zu führen. Für die Kombination Autor-Regisseur gilt das nicht. Wenn man am Anfang steht, wird eine vielseitige und chaotische Ausrichtung erst einmal geduldet, aber nach und nach sollte man sich doch entscheiden. Das entspricht auch der hierarchischen Struktur im Theaterbereich und dem mit einer Spezialisierung verbundenen Streben, ganz nach oben zu kommen.
Was ist charakteristisch für Ihre Generation, und inwiefern unterscheidet sie sich von der vorherigen?Der Hauptunterschied ist: Auf der Bühne, auf der wir unser Theater zeigen können, sind alle Tabus längst gebrochen. Das ist ein großes Privileg, weil wir dadurch über viel Freiraum verfügen. Vergleicht man jedoch die Grenzüberschreitungen der vorherigen Generationen, die noch einen Kampf auszufechten hatten, mit der unseren, dann habe ich das Gefühl, dass Grenzüberschreitungen nicht mehr an der…mehr
aus der Zeitschrift: Mexiko

Inszenierung
Ariel Dorons interaktive Objektperformance „Do not open!“
von Annika Gloystein
Was machen Sie, wenn Sie von einem personenlosen Lastenfahrrad angesprochen werden? Ach so, ist noch nicht vorgekommen!? Falls Ihnen aber danach ist und Sie wissen wollen, was es geladen hat, haben Sie nochmal Gelegenheit im Mai beim internationalen figuren.theater.festival in Erlangen mit dem Gefährt „ins Gespräch zu kommen“. Wenn Sie ihm unvoreingenommen gegenübertreten wollen, sei Ihnen an dieser Stelle vom weiteren Lesen abgeraten. Falls Sie (vorher) lieber wissen wollen, wie andere so mit dem Zweirad zurechtkamen: Es sprach im August 2020 in Erlangen und im Oktober in München Festivalgäste und Passant*innen an – ein Projekt im Rahmen des 40. Erlanger Poetenfests in Koproduktion mit wunder. Internationales Figurentheaterfestival München. Die Kontaktaufnahme beginnt freundlich einladend, geheimnisvoll flüsternd über dringlich flehend bis beschwörend, man möge den Front-Ladebereich des Lastenrads öffnen. Findet die Stimme nicht die gewünschte Beachtung, geht sie über zu einem genervten oder gelangweilten Ton, klingt hilfsbedürftig, unterstreicht das Anliegen mit Klopfgeräuschen aus dem Inneren oder einem langen verzweifelten Schreien. Manch eine*r bleibt stehen, ob der unerwarteten Ansprache, unschlüssig, wie damit umzugehen sei. Doch ein Näherkommen kann jäh unterbrochen werden („Halt! Stop!“ / „Hör auf, lass mich in Ruhe“ / „Nicht öffnen!“). Wendet sich die Person wieder ab, wird klagend interveniert („Komm zurück!“ / „Verlass mich nicht!“). Nicht alle lassen sich…mehr
aus der Zeitschrift: double 43
Magazin
Zum Tod von Gerd Imbsweiler
von Wolfgang Schneider
Zuletzt spielte Gerd Imbsweiler am Basler
Vorstadttheater in „Struwwelväter“ den Verleger
eines berühmten Bilderbuchs, wiederum
zusammen mit seiner Lebensgefährtin Ruth
Oswalt, das „Traumpaar“ des Kinder- und
Jugendtheaters
in der Schweiz. Es war die
tragische Geschichte ihres Opas; für den in
Offenbach geborenen Mitbegründer des Theaters
Spilkischte war es die letzte Rolle.
Imbsweiler gab der deutschsprachigen Szene
Impulse, wie man die darstellende Kunst für
ein junges Publikum ernsthaft und unterhaltsam
zugleich gestalten kann. Legendär sind
seine Kinderfiguren, z. B. in „Hänschen klein“, das er in der langjährigen Zusammenarbeit
mit Beat Fäh erfand, mit schütterem Haar,
Schnauz und Schneid. Als Gast an der Schauburg
in München brillierte er in den „Buddenbrooks“
und in „Der weiße Dampfer“. In
seinem Theatersolo „Aus der Früherheit“ erfreute
er als Erzähler, als Autor veröffentlichte
er Lyrisches und Dramatisches. Ausgezeichnet
mit dem Hans-Reinhart-Ring, dem Basler
Kunstpreis und dem ASSITEJ-Preis verstarb
Gerd Imbsweiler am 12. Januar 2013 an den
Folgen seiner Krebserkrankung. //
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 3/2013

Kolumne
Warum die Kritik an „kultureller Aneignung“ in Aberwitz verdampft
von Ralph Hammerthaler
Einmal hab ich mir eine fremde Sprache angeeignet, das Spanische, weil ich mit Menschen in Mexiko und Kolumbien direkt sprechen wollte, ohne aufs Englische auszuweichen. Und weil ich Bolaño im Original lesen wollte. Irgendwann hat es leidlich geklappt. Als sie „Schnappräuber“ in Mexico City aufführten, hielt ich in der Universität einen Vortrag, über mein Stück und Tendenzen der deutschen Dramatik. Ich sprach auf Spanisch, was, wenn auch nicht perfekt, gut ankam. Nicht ganz so gut an kam mein hochspanisches Lispeln, das ich damals dynamisch fand. Danach flüsterte mir mein Regisseur ins Ohr: So klingt die Sprache der Kolonisatoren.
Für meinen Roman „Kosovos Töchter“ hab ich monatelang auf dem Balkan recherchiert. Überwiegend sprach ich mit Frauen, jungen und alten, zumeist Feministinnen, aber auch mit deutschen Soldaten oder dem Politiker Albin Kurti, dem Rudi Dutschke Kosovos. Zu diesem Romanprojekt hat mich, was gar nicht nötig gewesen wäre, mein albanischer Freund Besim immer wieder ermuntert. Vielleicht, sagte er, siehst du etwas, was wir in Kosovo nicht sehen. Könnte gut sein. Aber wer weiß. In Prishtina lief auf der Leinwand ein Fußballspiel, und junge Männer trugen Trikots des FC Bayern München. Frage an alle: Wer ist der Fremde?
So gesehen müsste mich der Vorwurf der „kulturellen Aneignung“ ins Mark treffen. Aber erstens ist schon der Begriff falsch, weil in den fluiden Kulturen der Welt kein Eigentum übertragen werden kann, und zweitens wird der Vorwurf vom Popanz…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2021
von Alicia de Bánffy-Hall, Lee Higgins und Thalia Kellmeyer
Community Musicvon Lee Higgins
Community Musicians beginnen ihre Arbeit mit der festen Absicht, Räume für inklusives und partizipierendes Musikmachen zu schaffen. Oft kommt dieser Impuls von der Überzeugung, dass Musikmachen einen fundamentalen Aspekt menschlichen Erlebens darstellt und dass es aus diesem Grund ein immanenter und grundlegender Teil menschlicher Kultur und Gesellschaft ist. Vor diesem Hintergrund kann musikalischer Ausdruck als ein Schmelztiegel von sozialem Wandel, kulturellem Kapital, Emanzipation und Ermächtigung betrachtet und genutzt werden.
Der Begriff Intervention – eine Art rücksichtsvolle Störung – bezeichnet eine Begegnung mit „Neuem“. Es geht um eine Perspektive, aus der neue Ereignisse die Gegenwart auf eine Weise mit Innovation und positiven Störungen konfrontieren, dass Momente von Transformationen entstehen, wie es der indische Philosoph Homi K. Bhabha beschreibt. Intervenierende Handlungen dieser Art – wie zum Beispiel Workshops anzuleiten, Diskussionen zu begleiten oder Gruppen bei ihren musikalischen Bemühungen zu unterstützen – erfordern durchdachte Strategien, Menschen zu befähigen, mithilfe musikalischer Mittel eine Form des Selbstausdrucks zu finden und angemessene Formen des sozialen Umgangs zu entwickeln. Lernen findet eher über den Bottom-up- als über den Top-down-Ansatz statt. Die Menschen, die im Bereich Community Music arbeiten, haben ein Herz für Ko-Autorschaft, kooperative Gruppenarbeit und eine unumstößliche Überzeugung…mehr
aus dem Buch: Heart of the City II
von Hans-Thies Lehmann
Es gehört keine besondere Prophetengabe dazu, ein erneuertes Interesse an Brecht in den kommenden Jahren vorherzusagen. Zum einen rückt der 70. Todestag des Dichters näher, sodass vom 1. Januar 2027 an Brecht „frei“ sein wird. Auch wenn die Zulassungspolitik der Erben schon etwas nachgiebiger geworden ist, lässt sich vorhersehen, dass ein unvoreingenommener Blick auf Brecht jenseits der orthodoxen Rezeption auf dem Wege ist.
Zum anderen ist gesellschaftlich und politisch viel in Bewegung geraten. Die politische Mentalität hat sich verändert. Neue politische Fronten sind aufgetaucht, eine verschärfte Kritik und Selbstkritik der (westlichen) Demokratien verbindet sich mit dem Gefühl, dass die eigene Verantwortung Europas und des Westens für die Katastrophen im Süden der Welt verleugnet wird. In dieser veränderten Lage tritt immer deutlicher hervor, dass längst vergessene Kategorien wie Kapital und Geldzirkulation, Bankenmacht und Ausbeutung wieder aktuell klingen. Das verbliebene Restvertrauen in die sogenannten Eliten ist mehr oder minder ruiniert. Immer weniger akzeptieren die Menschen die Tatsache des obszönen Reichtums einer kleinen Gruppe, der für diese eine unfasslich große Macht bedeutet, die keinerlei Kontrolle oder Legitimität unterliegt. Weltweit ist zu beobachten, dass die Formen der Repräsentation in die Krise geraten sind. Immer öfter geben große Menschenmassen auf den Straßen ihren Forderungen Ausdruck. Nicht undenkbar, dass die Empörung über einzelne Auswüchse…mehr
aus dem Buch: Brecht lesen
Thema
Über VR-Theater – Ein Essay
von Clemens J. Setz
Man darf momentan nicht als Mensch ins Theater gehen. Aber es ist natürlich erlaubt, es als körperlos schwebendes Bewusstsein, das heißt, als Gespenst zu betreten. Dafür benötigt man eine Virtual-Reality-Brille. Zwei deutschsprachige Schauspielhäuser waren so freundlich, mir für einige Tage eine solche Brille zu leihen, auf der, als dreidimensionale Filmclips gespeichert, zwei aktuelle Inszenierungen von Theaterstücken zu sehen waren: einerseits das Schauspielhaus Graz mit dem Stück „Krasnojarsk“ des vor Kurzem durch seinen Roman „Max, Mischa und die Tet-Offensive“ auch bei uns bekannter gewordenen Norwegers Johan Harstad, und andererseits das Staatstheater Augsburg mit Einar Schleefs kurzem Monolog „14 Vorhänge“.
„Krasnojarsk“, bereits 2008 verfasst und nun inszeniert von Tom Feichtinger, ist eine postapokalyptische Fantasie. Ein Mann ist madmaxhaft allein im Trümmerland unterwegs, da trifft er – nein, man muss es etwas klischeevoller formulieren, da läuft ihm eine Frau zu, die bislang ebenso allein durch das Nichts geirrt ist. Die beiden erleben einige Szenen der Annäherung miteinander, er konzentriert, rau und methodisch, die Frau dagegen tierhaft verschreckt und ständig fluchtbereit. Am Ende werden sie von düsteren Mächten eingeholt, verkörpert durch eine irgendwie konturlos bleibende und wenig greifbare Bande umherziehender Halunken. Eine wichtige Rolle spielen „Berichte“, über die die Frau verfügt, das heißt schriftliche Zeugnisse aus früheren Zeiten. Die bedeuten…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2021

Glossar
Unser Glossar zum Schwerpunkt „Elektro-Theater – Der virtuelle Raum“, erstellt von unserem VR-Experten Tom Mustroph
von Tom Mustroph
Sie sind lost in translation, sobald es vom analogen in den virtuellen Raum geht? Kein Problem! Unser alphabetisch geordnetes Glossar leistet Übersetzungshilfe – vom Avatar bis zum VRChat, von der Datenbrille bis zum Trackingsystem.
Jihyun Cecilia Lee in der Hybrid-Oper „Orfeo ed Euridice” unter der Regie von André Bücker am Staatstheater Augsburg.Foto: Jan-Pieter Fuhr
Augmented Reality (AR, erweiterte Realität)
ist eine computerunterstützte Wahrnehmungsweise von Welt, in der die physisch vorhandene Welt durch virtuelle Aspekte erweitert wird. Meist handelt es sich um visuelle und auditive Erweiterungen. Es können aber auch Gerüche (die als Aerosole versprüht werden) oder haptisch erfahrbare Erweiterungen (etwa durch Vibrationen) produziert werden. Die erweiterte Realität (AR) unterscheidet sich insofern von der virtuellen Realität (VR), als in ihr die Wahrnehmung der physisch vorhandenen Welt eben nicht ausgeblendet, sondern durch Datenschichten erweitert wird. Zugänglich sind Umgebungen der erweiterten Realität entweder durch transparente Brillen oder Linsen, auf die die Bilddaten projiziert werden, durch Projektionen direkt auf die Retina oder durch Smartphones und Tablets, auf denen das durch die eingebauten Kameras aufgenommene Umgebungsbild durch digitale Bilder überlagert wird.
Augmented-Reality-Anwendungen
sind in vielen Branchen für Reparatur- und Wartungsarbeiten gebräuchlich. Zur Visualisierung von Architektur, in der Geologie zur Erforschung von Erdschichten…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2021