Alle Beiträge von Ralph Hammerthaler
Kolumne
Warum die Kritik an „kultureller Aneignung“ in Aberwitz verdampft
von Ralph Hammerthaler
Einmal hab ich mir eine fremde Sprache angeeignet, das Spanische, weil ich mit Menschen in Mexiko und Kolumbien direkt sprechen wollte, ohne aufs Englische auszuweichen. Und weil ich Bolaño im Original lesen wollte. Irgendwann hat es leidlich geklappt. Als sie „Schnappräuber“ in Mexico City aufführten, hielt ich in der Universität einen Vortrag, über mein Stück und Tendenzen der deutschen Dramatik. Ich sprach auf Spanisch, was, wenn auch nicht perfekt, gut ankam. Nicht ganz so gut an kam mein…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2021
Kolumne
Ein Mann trinkt Wodka, ein anderer schaut zu
von Ralph Hammerthaler
Gut ist es, wenn du jemanden kennst, der ein Theater hat. Und der dich in diesen Tagen hineinlässt. Gut, dass ich Czesław kenne. Hinten im Hof liegt das Kammerspielchen, wie er es nennt, und das Wort Kammerspielchen steht auch rechts vom Eingang. Aber oben, auf der roten Fassade, steht groß und auf Polnisch: TEATR. Siehst du, sagt Czesław, so haben wir zwei Buchstaben eingespart.
Jedes Mal, wenn ich im Ruhrgebiet bin, steige ich im Gdańska ab, am Altmarkt im Zentrum von Oberhausen. Es ist auch…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 3/2021
Kolumne
Wie der Regisseur Visar Morina von der Einsamkeit erzählt
von Ralph Hammerthaler
Applaus tut gut, aber nicht immer. Die demütigendste Art des Applaudierens habe ich in Visar Morinas Film „Exil“ gesehen, als der Beifall von Kollegen über den aus Kosovo stammenden Ingenieur Xhafer niedergeht. Seit einiger Zeit schon hat Xhafer den Eindruck, dass in der Firma alles gegen ihn läuft, ja, dass er gemobbt wird. Woher kommen Sie, aus Kroatien?, fragen sie immer wieder. Und auch der Chef fragt ihn danach, ehe er seine selbstgefällig weltläufige Rede mit einer Pointe versieht. Die…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 2/2021
Kolumne
Verpatztes Timing von Nachrufen
von Ralph Hammerthaler
Nachrufe lese ich gern. Ich mag das milde Licht, in das die Spanne eines ganzen Lebens getaucht wird, ganz so, als hätte es nie Streit, keine Gemeinheit und keine Enttäuschung gegeben, obwohl es von allem mehr als genug gab. Ich mag den leisen Ton, der unter dem Eindruck eines erlittenen Verlusts angeschlagen wird, vor allem, wenn der Verfasser dem Verstorbenen und seinem Werk nahesteht. Und ich mag die vielen kleinen Details, die eine solche Würdigung auszeichnen. Ein guter Nachruf ist keine…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 1/2021
Kolumne
Kurzer Lebenslauf mit Polizei
von Ralph Hammerthaler
Das erste Mal, dass ich einen Polizisten nicht nur auf der Straße, sondern auch in einer Wohnung sah, war leider bei mir zu Hause. Meine Mutter wollte meinen Vater anzeigen; wenig später zog sie die Anzeige zurück. Damals war ich noch klein, und ich war auch noch nicht groß, als ich von einem Polizeiwagen gestoppt wurde, ich auf meinem Fahrrad, unvorteilhaft auf der linken Spur der Straße. Der Polizist auf dem Beifahrersitz kurbelte das Fenster herunter, und weil mir auf die Schnelle nichts…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 12/2020
Kolumne
Lazy Hazel, wer? Über die Schauspielerin Susanne Jansen
von Ralph Hammerthaler
Gerüchte, pff. Darauf gebe ich nichts. Aber interessant sind sie schon. Zum Beispiel: Wer Susanne Jansen die Hand gibt, erhält einen elektrischen Schlag. Ehrlich gesagt, dieses Gerücht habe ich gerade erfunden, um sie, die Schauspielerin und Sängerin, einzufangen. Die Begegnung, der Stromstoß, kurzzeitige Erleuchtung, dann Blackout. Das alles erklärt leider gar nichts oder höchstens ein wenig – zu wenig, wenn du mich fragst. Aber zum Erklären bin ich nicht da. Für mich heißt sie von jeher und…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 11/2020
Kolumne
Wird der Buchladen Kisch & Co. auf die Straße gesetzt?
von Ralph Hammerthaler
Es gibt auch Nächte im Buchladen, dann, wenn die Bücher schlafen und nur ein bisschen Licht in eine Ecke fällt, dorthin, wo wir sitzen, vor und hinter dem Tisch, an dem tagsüber die Geschäfte laufen. Jetzt ist der Tisch voller Flaschen, und bald muss wieder einer los und Bier holen gehen, beim Späti nebenan oder, für ausgefallene Sorten, beim Späti gegenüber, ein paar entscheidende Schritte weiter. Thorsten und Ulla sind eigentlich immer da, manchmal auch Jürgen; alle drei haben im Laden zu…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 9/2020
Kolumne
Videoschalte mit Stephan Lessenich und Kornelius Heidebrecht
von Ralph Hammerthaler
Lessenich sagt, dass achtzig bis neunzig Prozent der Antibiotika, die unser gutes Leben am Laufen halten, in China und Indien hergestellt werden. Und dass diese Herstellung unter Bedingungen erfolgt, die hierzulande undenkbar wären. Dort unten aber, in China und Indien, schädigen sie ihre Umwelt zum Wohl des globalen Nordens, scheiden unverträgliche Stoffe aus, die das Trinkwasser vergiften und die Menschen gleich mit. Und wir, sagt Lessenich, sehen es als selbstverständlich an, dass auf so…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 5/2020
Kolumne
Klimawandel: Aufforderung zum Diskurs-Pogo
von Ralph Hammerthaler
Das Stück der Stunde stammt aus dem Jahr 1978, eine Komödie in 33 Gesängen von Hans Magnus Enzensberger, „Der Untergang der Titanic“. Gerade läuft es, schwindelerregend inszeniert von Philipp Preuss, im Theater an der Ruhr in Mülheim. Dort sitzt das Publikum auf der Drehbühne und wird den unterschiedlichsten Perspektiven ausgesetzt. Was kommt als Nächstes und wer? Im Prinzip eine kreisende Fahrt mit der Geisterbahn. Es spuken Utopien mit integriertem Verfallsdatum, Ungerechtigkeiten der Welt…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 2/2020
Kolumne
Das Theater ist von Moral umstellt – wenn das mal gut geht
von Ralph Hammerthaler
Moral macht der Kunst zu schaffen, nicht weil die Kunst unmoralisch wäre, sondern weil sie moralische Fragen lieber umspielt als beantwortet, lieber in tausend Teile zerlegt als in eindeutige (und damit einfältige) Botschaften kleidet. Letztes Jahr war in München im Haus der Kunst eine große Jörg-Immendorff-Ausstellung zu sehen, „Für alle Lieben in der Welt“, darunter Gemälde aus dem Zyklus „Café Deutschland“. Weil sich der Künstler nicht mehr wehren konnte, ließen die Kuratoren ihrem moralisch…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 11/2019
Kolumne
Rudern hilft – der Opernkomponist Detlev Glanert
von Ralph Hammerthaler
Einmal gestand ich ihm, dass es nur eine Sache gibt, die ich für größer halte als die Literatur, ich sagte: Ich wäre gerne Komponist.
Bei mir ist es umgekehrt, gab Detlev zur Antwort, ich wäre gerne Schriftsteller.
Letztens, als ich in der Deutschen Oper in Berlin die Uraufführung von „Oceane“ sah, der schon elften Oper von Detlev Glanert, kurz, Oceane Eleven, fiel mir dieses Gespräch wieder ein, und zwar in dem Moment, als gegen Ende das Orchester zu toben anfing, mit Windmaschine und allem,…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 6/2019
Kolumne
Was mein Künstlermonolog in Prishtina unvermutet über albanische Künstler verrät
von Ralph Hammerthaler
Hast du das Stück geschrieben?
Ja, ist von mir.
Erstaunlich, denn genau so sieht es bei uns aus. Die Werte verfallen, die Künstler verzweifeln.
An einem Freitag Ende Januar schneit und schneit es auf Prishtina, und eine Zeitlang fürchten wir, dass unser Flugzeug keine Landeerlaubnis bekommt. Besim sagt, nur halb im Spaß, die da unten seien zu faul, die Landebahn freizuschaufeln. So drehen wir also Schleifen im Himmel über Kosovo, leise besorgt, sie könnten uns abweisen und nach Tirana…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 3/2019
Kolumne
Schauspiel Dortmund: Wollen Sie für den Frieden nicht aufstehen?
von Ralph Hammerthaler
Wäre sie nicht da gewesen, ganz zum Schluss, mit dem elften Monolog von elfen, dann hätte ich den schwer atmenden Uraufführungsreigen „Ich, Europa“ im Schauspiel Dortmund schnell wieder vergessen. Das heißt, ganz vergessen nun auch wieder nicht, denn es gab ja noch diese komische Figur, die für sich genommen gar nicht komisch war, komisch höchstens für all die anderen, denen sie nicht ins Konzept passte. Diese komische Figur spielte ich selbst. Dank Sudabeh aber verblasste sie genauso wie der…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 12/2018
Kolumne
Fürchtet euch nicht: In Strausberg entsteht ein Theater
von Ralph Hammerthaler
Als Waldgänger bin ich grantig, weil Nachdenken viel Arbeit macht. Führt der Weg ins Theater, bin ich noch grantiger als im Wald. Weil ich selten was höre, das ich noch nicht gehört hab, und darum denke, dass das Theater beim Nachdenken stört. Gruschenka sagt, ich soll nicht so grantig schauen, weil sie dann, um die Leute nicht vor den Kopf zu stoßen, umso lustiger sein muss, und das macht mindestens so viel Arbeit wie das grantige Denken. Als ich den Titel der Aufführung auf dem inzwischen…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 9/2018
Kolumne
Lass dich, Fremder, übers Ohr hauen
von Ralph Hammerthaler
In Havanna hast du den ganzen Tag Theater. Du bezahlst keinen Eintritt, weil das Theater auf der Straße spielt, doch wenn du nicht auf der Hut bist, bezahlst du am Ende mehr, als eine reguläre Eintrittskarte kostet. Und das Seltsame ist: Du bezahlst diesen Preis gern, weil du eine außergewöhnliche Komödie gesehen hast. Du bezahlst dafür, dass du am Ende als Depp dastehst.
Natürlich gibt es in Kuba auch Theater, wie du es kennst. Eintrittskarte, Aufführung, Applaus. Und danach hältst du dich…mehr
aus der Zeitschrift: Theater der Zeit 4/2018
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